Rheinische Post: Erdbeben am Nil

Ein Kommentar von Godehard Uhlemann:

Die radikal-islamistischen Salafisten der An-Nur-Partei sind die
Überraschungssieger der ersten demokratischen Parlamentswahl in
Ägypten seit 60 Jahren, auch wenn sie nicht die meisten Stimmen
erhalten haben. Daran ändert nichts, dass noch zwei Wahlgänge folgen.
Ihr Erfolg löst ein politisches Erdbeben aus, denn bei der
Neugestaltung des Landes kommt niemand mehr an den Salafisten vorbei.
Ihre Vorstellung von Ägypten, die einer besonders strengen Auslegung
des Islam folgt, wird die liberalen Kräfte und vor allem das Militär
herausfordern. Ungute Erinnerungen an Algerien werden wach, wo 1991
das Militär angesichts eines sich abzeichnenden Siegs der radikalen
Islamischen Heilsfront den zweiten Wahlgang absagte. Die Folge war
ein Bürgerkrieg mit mehr als 200 000 Toten. Die als gemäßigt
geltenden ägyptischen Muslimbrüder mit ihrer Partei für Freiheit und
Gerechtigkeit liegen erwartungsgemäß vorn. Sie hatten im Vorfeld
erklärt, einen säkularen und zivilen Staat achten zu wollen. Nun
droht ein islamistisch beherrschtes Parlament, das die neue
Verfassung ausarbeiten soll. Ein Alptraum für die Jugend des
Tahrir-Platzes, wo der ägyptische Frühling begonnen hatte. Doch
Geschichte ist selten gerecht.

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