Jahrzehntelang schlug Libyens Diktator Muammar
al Gaddafi Ablehnung höchstens aus dem Ausland entgegen. Im eigenen
Land war Kritik verboten, und gelegentliches Murren konterte der
„Revolutionsführer“ entweder mit geschickten Zugeständnissen oder mit
Gewalt. Aber das war nur selten nötig. Nach so langer Zeit an der
Macht muss er geglaubt haben, sein Regime sei immun gegen die
Revolten, die seit einigen Wochen die arabische Welt erschüttern. Ein
Trugschluss: Zwar gehört Libyen wegen seines Ölreichtums zu den
wohlhabendsten Nationen der Region. Aber auch in Gaddafis Reich
wuchert das Krebsgeschwür der Korruption. Die ungerechte Verteilung
des Reichtums bleibt niemandem verborgen, während die
Arbeitslosigkeit vor allem unter jungen Menschen grassiert. Und wo
angeblich die „Massen“ regieren, hat doch nur einer das Sagen:
Gaddafi. Dass Gaddafi uns Europäern nun zynisch mit dem Öffnen der
Flüchtlingsschleusen droht, sollten wir etwa Sympathien für den
Aufstand zeigen, macht deutlich, wie dicht dem dienstältesten
Despoten der Welt das Messer schon an der Kehle sitzt. Vor Jahren hat
er uns seine politische Läuterung vorgespielt. Dankbar haben
westliche Regierungen und Konzerne danach so getan, als sei bis auf
ein paar bedauernswerte Details alles wieder in Ordnung in Libyen.
Jetzt zeigen uns die Libyer: Nichts ist in Ordnung.
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