Rheinische Post: Kirche allzu biegsam

Man spürt heute die seherische Kraft Joseph
Ratzingers. Der spätere Papst verwies 1994 in dieser Zeitung auf das
„Missverhältnis zwischen institutionellem Panzer und geistiger Kraft“
der Kirche in Deutschland. Ratzinger zielte unausgesprochen auch auf
die evangelischen Landeskirchen. Die Kirchensteuerquelle sprudelt,
aber die Wucht der eigentlichen Sendung erlahmt, oder sie zerschellt
an einer Mauer aus Gleichgültigkeit von Halb-, Viertel- oder gar
nicht mehr Gläubigen. Da diese den Sonntagsvormittags-Kirchenbesuch
zunehmend als lästigen Zeitraub empfinden, regen Protestanten in
Westfalen an, die Gottesdienstfeier auf den Nachmittag zu verlegen.
Wer glaubt, mit Fisimatenten locke man diejenigen, die vormittags
„Besseres vorhaben“, ins Gotteshaus, ist naiv oder biegsam wie Gummi.
Der Bettler läuft hinterher, der Prediger geht voran. Mehr noch als
die katholische sollte sich die evangelische Kirche fragen, ob nicht
ein flaches Profil und weiche Botschaften die wenigen noch
Nahestehenden zu Fernstehenden und am Ende zu Wegbleibenden machen.

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