Es ist noch einmal gut gegangen. Die SPD hat 
sich bei der Frage, große Koalition oder Neuwahlen, pragmatisch und 
verantwortungsbewusst entschieden. Das verdient Respekt. Die 
Delegierten sind ihrem Vorsitzenden gefolgt, weil sie letztlich für 
die vielen Verbesserungen gestimmt haben, die die Sozialdemokraten in
den Sondierungsgesprächen durchgesetzt haben. Wenn jetzt auch die 
Mitglieder nach den Koalitionsverhandlungen zustimmen, kann 
Deutschland sogar noch vor Ostern eine neue Regierung bekommen. Eine 
ernste Regierungskrise, vielleicht am Ende sogar eine 
Verfassungskrise ist erst einmal abgewendet. Die Spielregeln in 
unserer Demokratie, die geschriebenen und die ungeschriebenen, 
funktionieren. Das zeigt, wie stabil unser politisches System dank 
der traditionellen Parteien ist.
   Es gehört aber zur Ehrlichkeit dazu, dass die SPD ihre Schwäche 
mit diesem Votum nicht überwunden hat. So fair und vorbildlich die 
Debatte geführt wurde – mit dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühner als 
neuem politischen Talent -, so wenig zugkräftig sind sowohl das 
Programm wie auch das Personalangebot der Sozialdemokraten. SPD-Chef 
Martin Schulz hat gekämpft, das war zu spüren. Aber an Gewicht 
gewonnen hat er nicht. Dass er vorschnell die Oppositionsvariante 
gewählt hat und dann erst nach den Ermahnungen von Bundespräsident 
Frank-Walter Steinmeier umgeschwenkt ist, kann ihm nicht auf der 
Habenseite verbucht werden. Seine Rede auf dem Parteitag war 
ordentlich, aber nicht zukunftsweisend. Will die SPD wieder in die 
Nähe einer 30-Prozent-Partei mit der Aussicht auf eine eigene 
Mehrheit kommen, muss sie sich noch gewaltig steigern.
   Noch immer wird die SPD als eine Partei wahrgenommen, die mit den 
eigenen Agenda-Erfolgen hadert und keinen Entwurf für das 21. 
Jahrhundert hat. Das gilt unabhängig von einer möglichen 
Regierungsbeteiligung. Die SPD muss sich erneuern, und zwar nicht nur
als Weltverbesserungspartei und Betriebsrat der Nation, sondern als 
eine Partei, die auch wirtschaftlich, gesellschaftlich und 
technologisch gestalten will. Sie muss ein Bekenntnis zu einer sich 
wandelnden Welt ablegen, die digitaler und globaler wird. Und sie 
muss sich wieder zu einer Aufsteiger- und Leistungsträgerpartei 
entwickeln, ohne die Schwachen zu vernachlässigen. Dafür ist Martin 
Schulz offenbar nicht der richtige Mann.
   Die Diskussion über die Zukunft der Partei wird also weitergehen. 
Mit ihrer Verantwortungskultur ist sie ein Vorbild für andere 
demokratische Parteien. Mit der Modernisierung jedoch hapert es noch 
gewaltig.
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