Es hat schon etwas Tragisches: Monate lang 
haben die Regierungen in Europa vor dem Verfassungsgericht gezittert.
Doch jetzt, wo das Urteil zum Rettungsschirm ESM endlich gefallen 
ist, kommt es auf den Spruch kaum noch an. Das zeigt auch die 
Reaktion der Anleger: Sie reagierten erleichtert, aber nicht 
euphorisch. Die psychologisch wichtige Marke von 1,30 Dollar schafft 
der Euro dann doch nicht. Die Gewichte bei der Euro-Rettung haben 
sich verschoben: Seit die Europäische Zentralbank (EZB) beschlossen 
hat, unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten zu kaufen und so deren 
Pleite zu verhindern, ist sie der Retter Nummer eins. Der 
Rettungsfonds hat noch vor seinem Start seine Bedeutung verloren. 
Denn was sind schon Hilfskredite von 500 Milliarden Euro, die der ESM
ausreicht, gegen die Notenpresse, mit der die EZB unbegrenzt Geld 
drucken kann? Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy machte bereits
gestern klar, wen er um Hilfe bitten wird: nicht den Rettungsfonds, 
der Geld nur gegen harte Sparauflagen gibt, sondern die EZB, die sich
mit weicheren Auflagen zufriedengeben kann, auch wenn EZB-Chef Mario 
Draghi noch anderes beteuert. Der Euro ist trotz des klugen Urteils 
noch nicht gerettet. Bald werden die Experten der Troika feststellen,
dass die Lage in Griechenland katastrophal ist. Dennoch wird die 
Kanzlerin versuchen, Hellas mit Hilfe der EZB im Euro zu halten, um 
einen Zerfall zu verhindern. Ob das gelingt, hängt davon ab, wie 
italienisch die Notenbank nun wird: Wenn sie nicht auch auf scharfen 
Sparauflagen besteht, wird sie zum Dauerfinancier von Pleitestaaten. 
Wenn sie ihr frisch gedrucktes Geld nicht rechtzeitig wieder 
einsammelt, stürzt sie Europa in die Inflation. Damit würde sie zum 
Rechtsbrecher – schließlich arbeitet auch die EZB, bei aller 
Unabhängigkeit, auf Basis von Gesetzen. Ob die Notenbank schon jetzt 
ihr Mandat überschritten hat, ist das eigentlich spannende 
Euro-Urteil, das Karlsruhe als Nächstes zu fällen hat.
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