Rheinische Post: Kommentar / Schönes Beispiel für Glaube und Vernunft = Von Reinhold Michels

Die katholische Kirche in Deutschland sei nicht
die Filiale von Rom. Mit dem aus vatikanischer Sicht unerhörten Satz
(der deutsche Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller war erbost) hat
der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal
Marx, einen Fanfarenstoß im Sinne von „Ecclesia semper reformanda“
(„Die Kirche muss sich stets erneuern“) gewagt. Marx tönte zwar zu
national, also unkatholisch; aber er drückt richtigerweise aus, was
viele Katholiken – nicht nur die Zeitgeist-Surfer unter ihnen –
denken: Notfalls muss man Rom Beine machen. Marx & Co. scheinen mit
Lockerungsübungen beim kirchlichen Arbeitsrecht beginnen zu wollen.
Dieser Befreiungsschlag könnte im Falle seines Gelingens ein schönes
Beispiel dafür sein, dass Glaube und Vernunft kein Gegensatzpaar
bilden, vielmehr zusammengehören. Es ist nämlich unvernünftig, etwa
einem tüchtigen Chefarzt einer katholischen Klinik einen
arbeitsrechtlichen Strick daraus zu drehen, dass er mit einem Mann
liiert oder eine zweite Ehe eingegangen ist. Unvernünftig wäre es
jedoch auch, vom Arbeitgeber künftig zu erwarten, jeglicher
ausschweifenden Lebensführung den arbeitsrechtlich-kirchlichen Segen
zu geben.

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