Rheinische Post: Mehr als eine Beziehungstat Kommentar Von Eva Quadbeck

Der Mordfall von Kandel gehört zu jener Sorte
Verbrechen, bei deren Ursachenforschung die menschliche Tragik, die
gesellschaftspolitischen Zusammenhänge und mögliche Versäumnisse
staatlicher Stellen nicht leicht zu trennen sind. Es geht um mehr als
eine Beziehungstat. Daher mahnt der Bürgermeister der unter Schock
stehenden kleinen Stadt Kandel zu Recht, dass erst richtig aufgeklärt
werden müsse, bevor Schlussfolgerungen gezogen werden. Dieser Fall
ist mehrfach tragisch. Er ist tragisch, weil eine 15-Jährige getötet
worden und ihren Eltern damit das Schlimmste passiert ist, was Eltern
geschehen kann: das eigene Kind so plötzlich und so grausam zu
verlieren. Tragisch ist der Fall auch, weil er jenen Wasser auf die
Mühlen gibt, die ohnehin mit Hetze gegen Fremde die Gesellschaft
spalten wollen. Und dann ist das Geschehen tragisch, weil es auch bei
den Normalbürgern, die grundsätzlich bereit sind, Flüchtlingen aus
fremder Kultur offen zu begegnen, Zweifel sät. Es verfestigt die
Befürchtung, dass der Staat nach dem massenhaften Zuzug von
Flüchtlingen 2015 und 2016 seine Bürger nicht mehr wirksam genug
schützen kann. Umso dringlicher ist es, dass die Tat unter dem
Blickwinkel untersucht wird, ob sie nicht zu verhindern gewesen wäre.
Ein zentraler Punkt für die Aufklärung wird das wahre Alter des
Mordverdächtigen sein. Dringend muss geklärt werden, ob er
tatsächlich als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland
gekommen ist, was ihm nicht nur den Aufenthalt, sondern auch eine
besonders fürsorgliche Behandlung sichert. Grundsätzlich wäre es
angebracht, dass unbegleitete Minderjährige, die deutlich älter
wirken, als sie vorgeben zu sein, medizinisch auf ihr wahres Alter
untersucht werden. Andere Länder, in denen viele Flüchtlinge
ankommen, machen das auch. Selbstverständlich kann die medizinische
Überprüfung des Alters keine Morde verhindern, aber erwachsene
Flüchtlinge landen in einem anderen Umfeld. Sie sind auch nicht wie
die unbegleiteten Minderjährigen vor Abschiebung geschützt, wenn sie
straffällig werden. Einen absoluten Schutz gegen Taten wie der von
Kandel gibt es selbstverständlich nicht. Erhöhte Aufmerksamkeit kann
aber lebensrettend sein. Im Fall von Bedrohungen durch möglicherweise
traumatisierte Menschen aus anderen Kulturen müssen die Behörden
besonders hinschauen und im Zweifel schnell und hart reagieren. Der
Verdächtige von Kandel war schon wegen Körperverletzung polizeilich
aufgefallen. Eine Anzeige wegen Bedrohung, Nötigung und Beleidigung
lag gegen ihn vor.

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