Rheinische Post: NRW – das Land ohne Opposition Kommentar Von Sven Gösmann

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hatte eine
schöne Woche. Am vergangenen Montag wurde sie zuvorkommend im
WDR-2-„Montalk“ befragt. Am Mittwoch nahm sich die Sozialdemokratin
einen Tag Zeit, um im Rahmen ihrer „Tatkraft“-Tour als Praktikantin
den Hausarzt Bodo Kißmer in Duisburg-Bruckhausen zu begleiten. Unter
anderen versorgte sie die Fingerverletzung eines Patienten mit einem
Pflaster. Am Freitag kürte sie die Gewinner des Mal-Wettbewerbs „Mein
Nordrhein-Westfalen“. Die Staatskanzlei zitierte ihre Chefin mit den
Worten: „Die Kunstwerke waren toll. Es war eine richtig schwere
Entscheidung, die letzten elf und dann die drei Topfavoriten
auszusuchen!“ Übrigens gewann die Kunst AG der Katholischen
Grundschule Fredeburg. Deren Bild hängt jetzt in Krafts Büro.
Ministerpräsidentin Kraft hat viel Zeit für diese Sympathiewerbung.
Natürlich: Die marode WestLB muss noch an Chinesen, Japaner oder
Heuschrecken verkauft werden – das erledigt aber der
christdemokratische Advokat Friedrich Merz. Natürlich, ihre
Rekord-Schuldenmacherei kommt nicht gut an beim hiesigen
Verfassungsgerichtshof. Nach Monaten des Winterschlafs verbreiteten
die Richter jetzt ein wenig Aktionismus, dem die CDU ein bisschen
Pressestellen-Aufregung hinterher schickte. Doch in Wahrheit muss
Hannelore Kraft augenblicklich niemand fürchten, weder ihre
Haushaltspolitik stoppende Richter noch eventuell dann folgende
Neuwahlen – allenfalls eigenen Übermut oder grünen Größenwahn. Die
Opposition im Landtag jedenfalls dürfte ihre keine Angst einflößen.
Nachdem schon die CDU der rot-grünen Minderheitsregierung bei
mehreren Gelegenheiten über die Hürde zur Mehrheit verhalf, kippt nun
mit FDP-Fraktionschef Gerhard Papke auch der letzte
Fundamental-Oppositionelle im Landtag um. Am Wochenende machte er
gemeinsam mit seinem Landesparteichef Daniel Bahr allerlei Avancen
gegenüber Rot-Grün. Papke wischte sich den Schaum vom Mund und holte
die von ihm lange verschmähte Ampel aus dem Partykeller. Bei den
Liberalen hallt da auch die Enttäuschung über die CDU nach, die sich
schon in den letzten gemeinsamen Monaten von Schwarz-Gelb
distanzierte, indem sie das gemeinsame Motto „Privat vor Staat“
beerdigte. Nach der Wahl dann beeilten sich die Rüttgers-Erben, ihre
Schul- und Kommunalpolitik den Realitäten anzupassen. Zudem lässt die
Union auch auf Bundesebene wenig aus, die FDP in die Arme einer neuen
Geliebten zu jagen. Auf den vielen Neujahrsempfängen derzeit denken
führende Christdemokraten längst halblaut darüber nach, wie man den
Betriebsunfall der Wahlniederlage vom vergangenen Mai rückgängig
machen könnte. Ihr Szenario: Die Union solle als Juniorpartner in
eine SPD-Regierung Kraft eintreten, um „verlässliche Mehrheiten am
Industriestandort NRW zu ermöglichen“. Das Motiv für all diese
Überlegungen folgt immer im zweiten Satz: Dafür brauche es im Übrigen
keine Neuwahlen, das ginge durch einen schlichten Machtwechsel im
Landtag. Verlierer wären die neuen schwarzen Lieblingsgegner – die
Grünen. Die Liberalen blieben aber auch auf den Oppositionsbänken
sitzen. Wie praktisch. Die Angst vor Neuwahlen ist im bürgerlichen
Lager Antrieb der aktuellen Düsseldorfer Lockerungsübungen. Sowohl
CDU wie FDP hätte nach Lage der Demoskopie wenig zu erwarten, die
Liberalen müssten wahrscheinlich in die außerparlamentarische
Opposition. CDU-Landeschef Norbert Röttgen möchte übermorgen Kanzler
werden, nicht morgen Wahlverlierer in Nordrhein-Westfalen. Seine
Hinterleute im Land zudem haben die Macht gekostet und leiden sehr
unter der Perspektive von fünf bis 39 Jahren Opposition. Und Kraft?
Anders als die Grünen hätte ihre SPD bei Neuwahlen kaum einen
Stimmenzuwachs zu erwarten, einzig der kleinere Partner würde
wahrscheinlich deutlich zulegen. Jedenfalls stärkt es Krafts
Position, dass sie über alternative Machtoptionen verfügt. Für eine
Politikerin, die vor einem Jahr keiner auf der Rechnung hatte, ist
das viel. Die kommende Woche könnte im Übrigen wieder nett für sie
werden. Heute erinnert Kraft in an einer Feierstunde an ihren
Vorgänger Johannes Rau, der NRW 20 Jahre lang regierte. Frau Kraft
ist jetzt 49. Ach, und am Dienstag hat WDR 5 die Ministerpräsidentin
in die Sendung „Westblick“ eingeladen. Die Hörer dürfen Fragen
stellen.

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