Rheinische Post: Türkische Abrechnung = Von Thomas Seibert

Zum ersten Mal in der Geschichte der Türkei hat
ein ziviles Gericht des Landes hochrangige Militärs und deren Helfer
wegen eines Putschversuches zu langen Haftstrafen verurteilt. In der
Türkei war von Anfang an klar, dass es in dem Verfahren nicht nur um
die strafrechtliche Aufarbeitung illegaler Machenschaften in der
Armee und ihrem Umfeld gehen würde, sondern um Politik. Der
Ergenekon-Prozess war ein Teil des Machtkampfes zwischen der neuen
und der alten Elite in der Türkei. Kritiker werden deshalb auch nach
den Urteilen überzeugt bleiben, dass der Prozess in Wirklichkeit eine
Hexenjagd der Regierung auf politische Gegner war. Das Urteil kommt
zudem kurz nach den harschen Reaktionen der Behörden auf die
landesweite Protestwelle gegen Erdogan im Juni. Eine Entscheidung der
Justiz, die in einem anderen gesellschaftlichen Klima möglicherweise
als Sieg des Rechts über die Willkür der Armee und die alten
Neigungen des Militärs zur Einmischung in die Politik allseits
gefeiert worden wäre, dürfte jetzt die inneren Spannungen in der
Türkei nur noch weiter ansteigen lassen.

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