RNZ: Rhein-Neckar-Zeitung, zu: Nach der WM

Die Zelte des Wanderzirkus, der das Volk vier
Wochen lang glänzend unterhalten hat, werden abgebaut. Dahinter kommt
die verdrängte Wirklichkeit zum Vorschein. Eine zweite Arena, vor der
zur Zeit das gnädige Schild hängt: Wegen Sommerferien vorübergehend
geschlossen. Doch jeder weiß, was dort gespielt wird, ist von
begrenztem Unterhaltungswert: Steuerstreit, verpasste
Gesundheitsreform, dubiose Rücktritte, Krach um Atomlaufzeiten und
die hervorquellende Frage nach der Führungsqualität selbst. Die
spätrömische Dekadenz, jenes von Westerwelle dem Sozialstaat
aufgeklebte Etikett, hat sich in das Adressschild der Regierung
verwandelt. Es wird nichts nützen, die Ungereimtheiten der
entzauberten Wunschkoalition etwas netter und mediengerechter
erklären zu lassen. Zwar ist die reale Lage, was Wirtschaftswachstum,
sinkende Arbeitslosigkeit oder Kauflust angeht, vom Zerfall der
Regierungsautorität scheinbar losgelöst. Aber im Umkehrschluss droht
diese Regierung, je länger sie im Amt bleibt, Teil eines Problems zu
werden, das wir noch nicht haben. Denn nicht nur bei der Einstellung
einer Fußballelf auf ihre Herausforderung, auch in der Wirtschaft und
beim Vertrauen des Bürger in seinen Staat spielt Psychologie eine
wichtige Rolle. Die Hebelgesetze der Macht allein, die Merkel voll
beherrscht, bringen es nicht.

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Manfred Fritz
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