Der Wissenschaftliche Dienst der Bundestages
(WD) hält das Vorgehen der Bundesregierung in der Kernkraftfrage für
verfassungsrechtlich zweifelhaft. In einer am Donnerstag fertig
gestellten vertraulichen Expertise, die der „Saarbrücker Zeitung“
(Sonnabendausgabe) vorliegt, heißt es, sofern Bundeskanzlerin Angela
Merkel (CDU) zu Beginn von einer „Aussetzung“ der
Laufzeitverlängerung oder einem „Moratorium“ gesprochen habe, würde
ein solcher Beschluss gegen dass Grundgesetz verstoßen.
„Eine Aussetzung der Geltung der Laufzeitverlängerung wäre
verfassungsrechtlich nicht möglich“, schreiben die Gutachter und
führen Artikel 20 des Grundgesetzes an. Auch die von der Regierung
beschlossene dreimonatige Stilllegung von sieben Alt-Kernkraftwerken
steht laut dem Gutachten auf wackeliger Rechtsgrundlage.
Zwar sei die Maßnahme prinzipiell nach dem Atomgesetz zur Abwehr
von Gefahren für Leib und Leben möglich; rechtlich sei jedoch
„streitig“, ob dafür neue Gefahren vorliegen müssten oder ob, wie
nach dem Unglück in Japan, ein neuer Gefahrenverdacht ausreiche. In
jedem Fall müsse jedoch eine Einzelfallprüfung für jedes Kraftwerk
erfolgen, so die Experten. Diese hat bisher allerdings nicht
stattgefunden. „Die Bundesregierung hat ihrer Entscheidung keine
konkreten Anlageaspekte zugrunde gelegt“, heißt es in einer Antwort
des Umweltministeriums von Mittwoch auf Fragen der
Grünen-Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl, die der Zeitung vorliegt.
Die WD-Gutachter bezweifeln in ihrem Gutachten auch die Begründung
der Bundeskanzlerin, die Abschaltung sei „Ausdruck äußerster
Vorsorge“. Im Dezember 2010 erst, so die Gutachter unter direkter
Bezugnahme auf diese Bemerkung der Kanzlerin, habe die Regierung die
Laufzeiten auch der Altanlagen verlängert und damals „offensichtlich
keine mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestehende Gefahr“
gesehen. Kotting-Uhl sagte der Zeitung: „Das Moratorium fußt auf
windiger gesetzlicher Grundlage, damit es im Zweifel folgenlos
bleiben kann.“
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