Schwäbische Zeitung: Angst machen reicht nicht – Leitartikel zum AfD-Parteitag

Bernd Lucke hat sich durchgesetzt, doch die
Frage, ob die AfD damit einen liberalen Kurs einschlägt und das Spiel
mit Ressentiments und Ängsten unterlässt, ist damit noch lange nicht
beantwortet. Der Parteitag in Bremen zeigte vor allem, dass die AfD
sehr vielstimmig ist, dass Gemeinsamkeiten vor allem im Protest gegen
bestehende Strukturen, gegen die Regierung und gegen den
vermeintlichen Mainstream bestehen.

Ob es gegen das Freihandelsabkommen mit den USA oder zu viel
Zuwanderung geht – das Spektrum ist groß, das Parteiprogramm noch
nicht festgelegt. Und auch wenn die Grünen es – verständlicherweise –
nicht gerne hören, erinnert manches an ihre Anfänge beim Marsch durch
die Institutionen. Ermüdende Geschäftsordnungsdebatten begleiten den
Aufbruch der AfD. Inhalte werden nachgeliefert. Bis jetzt tritt die
Partei als Angst- und Unmutverschärfer auf, nicht aber mit Rezepten,
wie sie die Politik konkret ändern will. Deshalb ist ungewiss, ob sie
langfristig Bestand hat, wenn sich zeigt, dass sie die
Heilserwartungen ihrer Anhänger auch nicht besser erfüllen kann als
andere Parteien. Und wenn die Unterschiede zwischen Professoren,
verängstigten Bürgern und rechtsgerichteten Nationalisten schärfer
zutage treten.

Die etablierten Parteien müssen das, was da aufbricht, ernst
nehmen. Erschreckend ist, wie viele Menschen sich von Politik und
Medien abgekoppelt fühlen, wie tief das Misstrauen sitzt, wie
ohnmächtig sich viele fühlen. Immer wieder hat man es in Bremen
gehört: Politiker sind Menschen, die nie gearbeitet haben und nichts
wissen, Journalisten werden von ihren Verlegern zensiert, die
wiederum sind alle links – und die AfD-Anhänger werden immer und
überall missverstanden.

Es ist schwer, da noch Lust an der Politik des Gehörtwerdens, wie
etwa Winfried Kretschmann sie beschworen hat, zu empfinden. Aber es
gibt keine Alternative. Dämonisierung hilft nicht, allenfalls das
Gespräch. Das Geschäft beruht jedoch auf Gegenseitigkeit. Auch die
chronisch Missverstandenen müssen zuhören.

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