Seit fast einem Jahr muss die Bundeskanzlerin
ertragen, dass bei ihr am Kabinettstisch einer sitzt, der in der
Gunst der Deutschen höher steht als sie selbst. Dass sie es nun sogar
hinnimmt, dass der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier auch von
der Union bei der Wahl für das Bundespräsidentenamt unterstützt
werden soll, zeugt, wenn nicht von Größe, so doch von
Geschichtsbewusstsein. Angela Merkel (CDU) hat sich schon einmal
gegen einen Kandidaten gesträubt, den sie später als verlässlichen
Partner schätzen lernte. Bundespräsident Joachim Gauck wurde zu einer
der großen Stützen für Merkel in Zeiten von Flüchtlingsbewegungen und
Sinnkrise der EU.
Ein Bundespräsident muss, auch wenn er meist repräsentiert, einen
klaren Kompass für die Verfasstheit einer Gesellschaft haben. Von ihm
braucht es programmatische Reden und deutliche Stellungnahmen zu
bedenklichen oder auch erfreulichen Entwicklungen. Frank-Walter
Steinmeier, der unermüdliche Diplomat, hat in den letzten Jahren in
der Ukraine vermittelt, im Nahen Osten und nicht zuletzt beim
Atomvertrag mit Iran. Seine Beliebtheit rührt aus der Tatsache, dass
er sein Gegenüber aufschließt und darauf bedacht ist, dass der andere
sein Gesicht wahren kann. Dass er sich fremden Ländern durch deren
Kultur und Literatur nähert, unterscheidet ihn von vielen anderen
deutschen Politikern. Ausland kann er also. Dass der frühere
Kanzleramtschef auch noch Inland kann, muss er zeigen.
Nach dem enervierenden Gezerre der letzten Tage zwischen SPD,
Grünen und Union um einen Kandidaten und nach dem Schock der
Trump-Wahl, wirkt die Festlegung auf Steinmeier beruhigend. Es soll
einer von Format kommen, der sich obendrein mit dem jetzigen
Amtsinhaber versteht und ihm auf Augenhöhe begegnet. In den
stürmischen Zeiten, die auf Deutschland mit dem Erstarken der
Rechtspopulisten und nach dem Sieg Trumps in den USA zukommen, wirkt
die Vorauswahl Steinmeiers wie ein Zeichen, dass dieses Land immer
noch auf dem richtigen Weg ist.
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