Schwäbische Zeitung: Cameron ist auf sich gestellt – Kommentar zu Regional- und Kommunalwahlen in Großbritannien

Die Wahlergebnisse in Großbritannien belegen
klar die voranschreitende Auflösung der ehemals gewaltigen
Labour-Vormacht in den roten Bastionen Schottland und Wales. Die seit
dem Abgang des Labour-Ex-Superstars Tony Blair 2007 politisch
irrlichternden Sozialdemokraten sind damit im britischen Inselnorden
im Status der Bedeutungslosigkeit angekommen. Eine größere Demütigung
für den neuen Labour-Chef Jeremy Corbin als der dritte Platz hinter
den in Schottland verhassten Tories ist kaum vorstellbar.

Auch in Wales kann sich Labour nicht mehr sicher fühlen: Die
absolute Mehrheit im Parlament ist dahin, auf den Oppositionsbänken
sitzt nun ein neuer Gegner – die europafeindliche Ukip. Ihr
strategisch wichtiger Erfolg in Cardiff könnte den walisischen
Separatisten einen Auftrieb bescheren. Die Tories unter David Cameron
haben sich in England relativ gut geschlagen, was dem von heftiger
Kritik in der eigenen Partei arg bedrängten Regierungschef eine
kleine Atempause verschafft.

Die wird Cameron in der letzten Schlacht vor dem EU-Referendum am
23. Juni gut gebrauchen können, um seine Strategie zu überdenken. Der
konservative Premier will die Briten in Europa halten, doch er
braucht Verbündete, um die starke Anti-EU-Propaganda der Ukip und der
Tory-Hardliner zu kontern. Die Wahlen zeigen, dass sich Cameron auf
die Hilfe der schwachen Labour-Truppen nicht verlassen kann. Er ist
faktisch auf sich gestellt. Das müssen auch die Politiker in Berlin
und Brüssel berücksichtigen und Cameron vor dem Referendum den Rücken
stärken – im Interesse der gefährdeten europäischen Einheit.

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