Schwäbische Zeitung: Die Urwahl als Muntermacher – Leitartikel

Wer, wenn nicht die Grünen, sollte als erste
Partei eine Urwahl wagen? Den Mitgliedern die Entscheidung zu
überlassen, wen sie an ihrer Wahlkampf-Spitze sehen wollen, ziert
eine basisdemokratische Partei. Auch wenn das neue Verfahren, da
sollen die Grünen sich und anderen nichts vormachen, auf ein Versagen
der Spitze, sich zu einigen, zurückzuführen ist.

Die Gefahr einer solchen Urwahl liegt auf der Hand. Erst einmal
wird ein Schaulaufen beginnen, es wird über Personen diskutiert und
berichtet. Inhalte treten zurück – die SPD kann ein Lied davon
singen. Schon hat die Diskussion begonnen, ob nicht die ältere Riege
der Partei, von Jürgen Trittin über Claudia Roth bis zu Renate
Künast, nur ein letztes Mal die Chance ergreifen will, nach einem
Wahlerfolg in einem Ministersessel Platz zu nehmen. Der
realpolitische Flügel wird zudem von Ängsten geplagt, dass am Ende
mit Trittin und Roth gleich zwei Linke gewählt werden. Und nicht
zuletzt gibt es die Erkenntnis, dass bei jeder Wahl auch Verlierer
übrig bleiben, die je nach Grad der Auseinandersetzung ganz schön
lädiert sein können.

Trotz alledem ist das Verfahren der Grünen gut. Erstens: Auch wenn
am Ende Trittin und Roth gewählt würden, wofür viel spricht, ist die
Partei längst über ihre Landesverbände von Winfried Kretschmann im
Süden über Sylvia Löhrmann in NRW bis zu Robert Habeck im Norden
derart solide realpolitisch verankert, dass ihrer Realpolitik keine
Gefahr droht. Zweitens, weil die Grünen innerhalb von nur zwei
Monaten ihr Spitzenduo für den Wahlkampf küren, dem dann bis zur
Bundestagswahl zehn Monate Zeit bleibt, über Inhalte zu reden. Das
ist gut, denn die Grünen haben in ihrer Geschichte immer mehr über
ihr Programm als über ihre Köpfe gepunktet. Und zum Thema
Energiewende können sie sicherlich viel beitragen.

Viel heikler als die Urwahl könnte für die Grünen langfristig das
einseitige Festlegen auf den Koalitionspartner SPD werden. Denn die
Sozialdemokraten haben eine – wenn auch ungeliebte – Alternative in
einer großen Koalition.

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