Für Fachjuristen mag ja alles in Ordnung sein:
So ist sie nun mal verfasst, die Strafprozessordnung. Und sie gilt
für ein außergewöhnliches Verfahren wie diesen NSU-Prozess ebenso wie
für die Verhandlung eines gewöhnlichen Diebstahls. Aber wer das
Mordverfahren gegen Beate Zschäpe und weitere mutmaßliche NSU-Helfer
als Laie, als normaler Bürger, verfolgt, der hat das Recht,
verwundert, ja: angewidert zu sein. Und er darf durchaus die Frage
stellen: Was haben all die strafprozessualen Winkelzüge und Volten
noch mit der Wahrheitsfindung zu tun?
Drei von vier Pflichtverteidigern wollen ihren Job hinschmeißen,
weil sie ihn angeblich nicht mehr ordnungsgemäß ausüben können. Der
Vorsitzende Richter sieht das anders und lehnt eine Entbindung der
Anwälte vom Pflichtmandat ab. Manfred Götzl fürchtet wohl vor allem,
dass andernfalls nach 200 Verhandlungstagen das ganze Verfahren
platzen könnte und neu aufgerollt werden müsste. Aber – auch diese
laienhaft gestellte Frage muss erlaubt sein: Wie soll denn eine
Verteidigung funktionieren, wenn die Angeklagte ihre Anwälte nicht
einmal mehr grüßt? Und wie soll der blutjunge, neu berufene vierte
Pflichtverteidiger effektiv arbeiten können, wenn er sich in 380000
Seiten Akten einarbeiten müsste? Die Gefahr, dass der Mammut-Prozess
gegen die mutmaßlichen Helfer der Neonazi-Mörder aus
verfahrenstechnischen Gründen doch platzt, ist noch einmal gestiegen.
Angewidert darf sein, wer sich in die Rolle der Angehörigen der
Mordopfer versetzt. Wie sollen diese Menschen eine Justizmühle
begreifen, die quälend langsam seit mehr als zwei Jahren mahlt? Wie
sollen sie etwa nachvollziehen können, dass die Hauptangeklagte,
Beate Zschäpe, jetzt allen Ernstes eine neue Sitzordnung im
Gerichtssaal beantragen kann, damit sie keinen unerwünschten
Blickkontakten mehr ausgesetzt ist? Ein rechtsstaatlich einwandfreies
Strafverfahren kann auch absurde Züge annehmen. Es kann zur Zumutung
werden – die allenfalls zähneknirschend erträglich ist.
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