Schwäbische Zeitung: Ethik braucht Freiheit – Leitartikel

Es geht um Ethik, es geht um Verantwortung. Hans
Jonas, der jüdische Philosoph, hat in seinem Hauptwerk „Das Prinzip
Verantwortung“ diesen Satz gemeißelt: „Was dem Thema einigermaßen
gerecht werden soll, muss dem Stahl und nicht der Watte gleichen. Von
der Watte guter Gesinnung und untadeliger Absicht, der Bekundung,
dass man auf Seiten der Engel steht und gegen die Sünde, gibt es in
der ethischen Reflexion unserer Tage genug.“ Stahl statt Watte,
richtiges Handeln statt untadeliger Absichtserklärung – die zeitlose
Brisanz verantwortungsethischen Verhaltens scheint wie gemünzt auf
die neu entflammte Diskussion um aktive Sterbehilfe.

In dem Gesetzentwurf der Bundesjustizministerin ist mehr Watte als
Stahl zu finden. Einerseits – und dies ist zu begrüßen – wird endlich
ein Anlauf unternommen, das gewerbsmäßige Geschäft mit dem Tod unter
Strafe zu stellen. Andererseits würde dieses Gesetz gleichzeitig
Türen zum Missbrauch öffnen. Straffrei bleiben soll nämlich die
Beteiligung von „nicht gewerbsmäßig handelnden Teilnehmern“ am
Suizid. Gemeint sind nicht nur enge Angehörige und Freunde, sondern
auch Ärzte und Pfleger, die ein persönliches Vertrauensverhältnis zum
Patienten aufgebaut haben. Dies ist auch juristische Watte. Wer soll
denn bestimmen, ob im Einzelfall die geschäftliche Beziehung mehr
wiegt als die persönliche? Wie soll verhindert werden, dass Helfer
den Aufbau von Vertrauensverhältnissen als Geschäftsmodell für sich
entdecken?

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat
den Gesetzentwurf ein „Stück aus dem Tollhaus“ genannt. Im Kern
stellt der Entwurf den Versuch dar, einen Graubereich zwischen Leben
und Tod allgemeingültig rechtlich zu normieren. Das funktioniert
nicht. Ethisches Handeln kann nicht dekretiert werden. Die
Entscheidung für Richtig oder Falsch braucht die Freiheit der
persönlichen Entscheidung – eben diesen Graubereich, für die extrem
wenigen Fälle, in denen man nicht anders helfen kann.

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