Das schläfrige Europa der Sonntagsreden ist
lange vorbei. Jenes Europa, auf das man zwar irgendwie stolz war,
weil es Frieden und Freiheit beschert hat, das einem aber nicht so
richtig wichtig war. Dieser Gleichmut gegenüber Europa hat sich seit
der Finanzkrise, mehr noch seit der Flüchtlingskrise geändert. Jeder
kann sehen, was europäisches Handeln oder Zögern bedeutet.
Europa ist in der Finanzkrise spät, aber dann energisch
vorgegangen. Und hat mit Ausnahme von Griechenland auch in vier
angeschlagenen Ländern Erfolg gehabt. Doch gleichzeitig wuchs der
Nationalismus. Warum sollen wir für die Griechen zahlen? Wer wie so
viele Europapolitiker jahrzehntelang nur die ideellen Werte Europas
beschworen hat, tut sich mit Antworten schwer. Es fehlen nicht nur
die großen europäischen Erklärer, sondern auch die Rechner, die
darstellen können, warum die EU für ihre Mitgliedsländer und gerade
auch für uns Deutsche ein Geschäft ist. Josef Ackermann kann es:
Scheitern ist teurer als die Weiterentwicklung Europas, sagt der
ehemalige Chef der Deutschen Bank. Auch wenn man nicht in allen
Dingen Ackermann folgen muss: Die EU ist ein Bündnis, das sich
wirtschaftlich lohnt. Das darf man ruhig sagen.
Genauso klar lässt sich feststellen, dass die EU in der
Flüchtlingskrise bislang versagt hat. Dass viel zu langsam gehandelt
wird, dass es noch nicht gelungen ist, die europäischen Außengrenzen
zu sichern und gleichzeitig die Fluchtursachen vor Ort energisch zu
bekämpfen.
So bedauerlich das britische Referendum ist, so hat es doch zum
verstärkten Nachdenken geführt. Viele Politiker sind aufgewacht.
Jene, die sich allzu lange über das Europa der Gurkenkrümmungen
ausgelassen haben, bekommen nun Angst vor einem zu negativen Bild von
Europa und beschwören die Erfolge, die die Misserfolge in der Tat bei
Weitem überwiegen. Auch wenn es schwierig ist: Es gibt gute Gründe,
Europa gerade jetzt zu vertiefen. Nicht weniger Europa, mehr Europa
kann helfen. Der Wirtschaft, dem Wohlstand, der Freiheit.
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