Schwäbische Zeitung: GDL hat jedes Maß verloren – Leitartikel

Andere Länder haben Probleme, und Deutschland
hat die GDL, oder besser: Herrn Weselsky. Die GDL maßt sich an, für
die vermeintliche Wahrung der Partikularinteressen ihrer Mitglieder
ein ganzes Land tagelang in Mitleidenschaft ziehen zu dürfen.

Die Bahn hat ein Angebot vorgelegt, das in anderen Branchen von
anderen Gewerkschaften schon längst unterschrieben worden wäre. Die
Bahn-Offerte orientiert sich am jüngsten Abschluss des Öffentlichen
Dienstes, der von den Arbeitnehmervertretern als „vertretbarer
Kompromiss“ bezeichnet wurde. Die Kurzformel lautet: Ab Juli
stufenweise 4,7 Prozent mehr Lohn bis Ende 2016 und eine
Einmalzahlung von 1000 Euro. Es fällt schwer einzusehen, warum die
arbeitskampferprobten Verdi-Mitglieder etwas aushandeln, was für die
Lokführer weiterhin eine Zumutung sein soll.

Vordergründig geht es nun um eine Untergruppe der ohnehin kleinen
Gruppe der Lokomotivführer, jetzt werden die Lokrangierführer
hervorgeholt. Deshalb sollte der Staat aufgrund seines übergeordneten
Interesses eingreifen dürfen. „Diesmal wird es richtig lange“ ist
eine Formulierung, die zeigt, dass Weselsky den Blick für die
Realität außerhalb seiner Gewerkschaft verloren hat. Er verspielt den
letzten Hauch von Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Im Verlauf dieser
Tarifauseinandersetzung wird, sollte es am heutigen Montag nicht noch
zu einer überraschenden Wendung kommen, ab Dienstag zum achten Mal
binnen kurzer Zeit über einen langen Zeitraum gestreikt. Ein eiligst
herbeigerufener Schlichter könnte nach den Wünschen der Bahn
eventuell einen Kompromiss aushandeln, Weselsky muss diesen aber
fürchten. Denn ihm geht es nicht um klassische Lohnverhandlungen oder
Arbeitszeitkompromisse. Es geht ihm um die Macht, und die schmilzt
der kleinen GDL weg, nachdem die Bundesregierung das Gesetz zur
Tarifeinheit auf den Weg gebracht hat. Dann gilt, dass nur noch die
jeweils größte Gewerkschaft in einem Betrieb Tarifverträge
abschließen darf. Und das ist nicht die GDL.

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