Schwäbische Zeitung: Kommentar: Verkrampfte Bewerbungsverfahren

Tim und Julia haben es leichter als Wladimir
oder Aische, eine Lehrstelle zu finden. Eine Studie beweist, dass
Jugendliche mit ausländischen Vornamen auf dem Arbeitsmarkt
benachteiligt werden. Es gibt keinen Grund, an der Stichhaltigkeit
dieser Untersuchung zu zweifeln.

Reflexartig wird nun nach dem Gesetzgeber gerufen. Wo die
Gesellschaft und ihre Individuen versagen, muss die Amme Staat es mit
Vorschriften und Regeln richten. Antidiskriminierungsgesetze und
anonymisierte Bewerbungen sollen die Benachteiligung beseitigen.

Mehr Bürokratie hilft weder Arbeitgebern noch Bewerbern, hat
womöglich aber fatale Folgen: Einstellungsverfahren werden
verkrampfter ablaufen. Kleine Firmen könnten aus Angst vor
Überforderung und juristischem Hickhack komplett auf die Ausbildung
verzichten. Bereits jetzt berichten Unternehmen, dass sie
vorsichtshalber alle Bewerber einladen, auch definitiv ungeeignete
Kandidaten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, bestimmte Gruppen
diskriminiert zu haben. Sie geben gescheiterten Bewerbern keine
ehrliche Auskunft mehr, warum sie tatsächlich abgelehnt wurden. Sie
verfassen juristisch wasserdichte, inhaltsleere Protokolle über den
diskriminierungsfreien Ablauf des Vorstellungsgesprächs – und stellen
trotzdem ihren Wunschkandidaten ein. Am Ende verkommt das
Bewerbungsverfahren zum hohlen Ritual, so wie es das Arbeitszeugnis
längst geworden ist, in dem nur Gutes stehen darf.

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