Vorbild Türkei, Hoffnungsträger Recep Tayyip 
Erdogan: So haben in den vergangenen Jahren viele westliche Politiker
und manche Medien ein Wunschdenken umschrieben, nein: beschworen. 
Gemeint war: Am Bosporus wird der Beweis erbracht, dass Demokratie 
und gemäßigter Islamismus keine Gegensätze sein müssen. Dass der 
türkische Regierungschef und seine Partei AKP die Folie für andere 
islamische Länder, insbesondere im arabischen Raum, liefere. Dass der
imposante wirtschaftliche Aufstieg der Türkei die Ankunft des Landes 
in der Moderne festige. Fazit: Dass die Türkei auf gutem Weg sei, 
Mitglied der Europäischen Union zu werden.
   Aber bei dieser Sicht der Dinge waren Zweckoptimisten am Werk. Sie
haben – bewusst oder halb bewusst oder unbewusst – vieles 
ausgeblendet, was in der Lage gewesen wäre, ihr schönes Weltbild zu 
stören. Gar nicht vorbildlich war nämlich Erdogans Umgang mit den 
Minderheit – ob Kurden, Alewiten, Juden oder den wenigen verbliebenen
Christen. Gar nicht vorbildlich war sein Umgang mit Kritikern und 
sein Verständnis von Pressefreiheit. Man hat ausgeblendet, dass sich 
dieser Mann immer mehr zum Autokraten entwickelt hat, der unter 
nationalistischer und islamistischer Flagge segelte. Wie gesagt: 
Zweckoptimismus.
   Damit müsste nun Schluss sein. Erdogans Hetze gegen finstere 
ausländische Medien, seine wüsten Verbalausfälle gegen Menschen, die 
ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, seine unverhohlenen Drohungen mit
Gewalt: All das kommt doch irgendwie bekannt vor. Es entspricht dem 
Verhaltensmuster von Herrschern, die mit Demokratie wenig am Hut 
haben – vorsichtig formuliert.
   Hoffnungsträger aus westlicher Sicht sollten nun diese überwiegend
jungen Menschen in der Türkei sein, die sich das nicht mehr gefallen 
lassen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie in absehbarer Zeit 
politische Mehrheiten erringen können. Aber: Mit ihren Protesten ist 
ein Geist aus der Flasche, der sich nicht mehr so leicht einsperren 
lässt. Erdogan weiß das, und genau deshalb reagiert er so despotisch.
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