Bekanntlich war früher alles besser –
selbstredend auch die parlamentarische Kultur in Deutschland. Da
beschimpfte SPD-Haudrauf Herbert Wehner seine politischen Gegner als
„Übelkrähe“ und „Dreckschleuder“, und das CSU-Schwergewicht Franz
Josef Strauß gemahnte einen KPD-Politiker mit den Worten „Schnauze,
Iwan“ zur Ruhe. Ja, da hatten die Debatten noch Pfeffer, und das Volk
verfolgte mit Interesse das Treiben im Hauptstadtprovisorium namens
Bonn. So die Geschichte. Und jetzt: Alles perdu – wenn man den stets
wiederkehrenden Studien zur Politikverdrossenheit Glauben schenken
mag. Das Volk scheint sich beim Berlinbesuch mehr für die Kuppel auf
dem Reichstag als die Arbeit darunter zu interessieren.
Das klingt dramatisch, ist es aber (noch) nicht. Dass die Politik
im Leben der Menschen keine so große Rolle mehr spielt, liegt
vielmehr in der Sache selbst begründet. Der Horror des Zweiten
Weltkriegs ist aus den Lebensbiografien der Menschen verschwunden und
zum Geschichtswissen geworden. Und in den Parlamentsdebatten
heutzutage geht es in der Regel nicht mehr um die
Pershing-2-Stationierung vor der eigenen Haustür, sondern im
schlimmsten Fall um eine Frauenquote. Die Zeit der großen
Grabenkämpfe ist vorbei und einer ganz ausgeglichenen Koalition der
Mitte gewichen. Da bleibt wenig Raum für großes Kino. Und das
deutsche Publikum, saturiert und satt, dreht sich gelangweilt weg.
Wem es nicht gefällt, dass immer weniger Menschen politisch
interessiert und gebildet sind, sollte nicht zuerst mit dem Finger
auf den Politikbetrieb zeigen. Die meisten Volksvertreter mühen sich
redlich, verbringen lange Tage in Berlin und kurze Wochenenden im
Wahlkreis. Wer politisch mündige Bürger will, muss vielmehr Wissen
über das demokratische System dort verankern, wo es für jeden
zugänglich ist: in den Schulen. Und da ist es nicht förderlich,
Fächer wie Geschichte und Gemeinschaftskunde auf ein Mindestmaß im
Lehrplan zusammenzuschrumpfen. Denn was Hänschen nicht lernt, lernt
Hans bekanntlich nimmer mehr – das war früher schon so.
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