Schwäbische Zeitung: Nun sind die Bürger am Zug – Leitartikel zum Thema Volksentscheide

Die Landesverfassung ist nicht unantastbar, sie
kann geändert werden. Dass für Verfassungsänderungen eine
Zwei-Drittel- und keine einfache Mehrheit nötig ist, zeigt, dass
Schnellschüsse dabei tabu sind. Nur durch eine Veränderung der
politischen Machtverhältnisse könnte an diesem Regelbuch des
gesellschaftlichen Zusammenlebens noch nicht gerüttelt werden.

Auch wenn die Hürde für eine Verfassungsänderung – zum Glück –
hoch ist, bedarf es mitunter Anpassungen. Dabei mag manch eine
sinnvoller sein als andere. Ob Kindern hier ausdrücklich das Recht
auf Achtung ihrer Würde zugestanden werden muss, darf bezweifelt
werden. Schließlich gilt das Grundrecht zur Achtung der Würde des
Menschen für alle Menschen, ohne Aufteilung in Altersgruppen. Dass
Kinder vor Gewalt geschützt sind, ergibt sich aus dem Strafgesetz und
muss nicht explizit erwähnt sein.

Eine große Errungenschaft ist hingegen die Stärkung der
Instrumente direkter Demokratie. Sie bedeuten keineswegs eine
Aushöhlung der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie, sondern
deren Ergänzung. Wer sich einfacher einmischen kann, tut das auch
stärker. In Zeiten schwindenden Interesses an politischen
Entscheidungsprozessen ist die Absenkung der Quoren für Volksbegehren
und Volksentscheide ein richtiger und wichtiger Schritt. Dass die
Bürger dank des neuen Volksantrags die Parlamentarier zwingen können,
sich auch mit unliebsamen Themen zu beschäftigen, stärkt die Teilhabe
weiter und kann helfen im Kampf gegen Politikverdrossenheit.

Mit diesen Neuerungen hat sich der Landtag seine Arbeit nicht
leichter gemacht. Dafür gebührt den Abgeordneten Respekt. Eine
Portion Eigennutz ist allerdings auch dabei. Zu gerne sprechen
nationale Bewegungen wie Pegida und national-konservative Parteien
den „Altparteien“ oder auch „etablierten Parteien“ ab, auf die Bürger
zu hören. Dieses Argument ist hinfällig. Nun liegt es an den Bürgern
selbst, wie stark sie ihre neuen Rechte des Gehörtwerdens nutzen
möchten.

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