Schwäbische Zeitung: Pietät statt Spekulationen / Leitartikel zu Flugzeugabsturz

In Paris studieren, in Barcelona einkaufen, in
Lissabon arbeiten: Nie war es für Menschen leichter, einen ganzen
Kontinent für sich zu entdecken, den Horizont zu erweitern,
Metropolen binnen weniger Stunden zu erreichen. Dank moderner
Fliegerei wächst ein Kontinent zusammen. Das Flugzeug gilt als das
sicherste Fortbewegungsmittel überhaupt.

Vielleicht ist der Schock nach dem gestrigen Absturz der
Germanwings-Maschine 4u9525 auch deshalb so groß. Auf einmal ist
alles ganz nah. Der Airbus stürzte nicht in Lateinamerika oder Asien
ab, sondern vor der Haustür in Südfrankreich. Der deutsche Flieger
war in Barcelona gestartet und sollte in Düsseldorf landen. Wie das
Busfahren nutzen Europäer jeden Tag stündlich solche erschwinglichen
Flug-Verbindungen. Trotz eines enormen Zuwachses an Flugfrequenzen
kam es in den vergangenen Jahren in Europa kaum zu schweren Unfällen.
Das Fliegen ist gelebter Alltag und bei manchem Bestandteil seines
Lebensmodells. Niemand rechnet heutzutage wirklich noch damit, dass
etwas mit einem planmäßigen Linienflug passieren könnte.

Die internationalen Standards sind hoch, eine Unternehmensgruppe
wie der Lufthansa-Konzern gilt als Vorzeigebetrieb, was Sicherheit
betrifft. Viele Konkurrenzgesellschaften lassen ihre Maschinen von
der Technik-Abteilung der Kranich-Airlines warten. Unterschiede
zwischen Billigfliegern und vermeintlichen Nobel-Gesellschaften
werden bei der technischen Überprüfung nicht gemacht.

Überhaupt nicht helfen in solch schlimmen Situationen
Spekulationen über die Ursache der Katastrophe. Der Respekt vor den
Toten und das tiefe Mitgefühl für die Angehörigen sollte solche
Debatten und mediale Wichtigtuereien im Keim ersticken. Es war für
die Bergungskräfte ein Leichtes, den Flugschreiber zu finden.
Experten werden jetzt in den kommenden Tagen oder Wochen den Hergang
des Dramas zweifelsfrei rekonstruieren. Bis dahin sind wohlfeile
Erklärungsversuche peinlich und pietätlos.

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