Der Appell an Union und SPD, wirtschaftliche
Vernunft walten zu lassen, klingt abgedroschen. Wahrscheinlich ist
diese Mahnung geradezu naiv, denn was sich derzeit in Berlin bei den
Koalitionsverhandlungen abspielt, erinnert an Wahlkampfzeiten. Alles
Mögliche wird gefordert oder in Aussicht gestellt, die Finanzierung
jedoch ausgeblendet. Konservative Kritiker dürften sich bestätigt
fühlen, dass die Verteidigung von Grundpositionen nicht zwingend zu
den relevanten Wesenszügen der Bundeskanzlerin zu gehören scheint.
Vielleicht spricht sie demnächst ein Machtwort, vielleicht auch
nicht. Ähnlich wie in der Europa-Politik hat es den Anschein, dass
Merkel zunächst alles laufen lässt, um dann spät, wenn nicht gar zu
spät, Entscheidungen zu treffen. Denn das, was sich bislang
abzeichnet, ist ein teures Wohlfühlprogramm zugunsten der jeweiligen
Klientel von Union und SPD. Zusammengerechnet kostet der schwarz-rote
Wunschzettel derzeit 55 Milliarden Euro – anders gerechnet sind das
55 000 Millionen Euro. Interessant dabei ist, wie es der SPD gelingt,
ihre Wahlniederlage in einen Sieg umzumünzen und die Union
programmatisch vor sich herzutreiben. Staatsgläubigkeit steht weit
vor der Förderung privater Initiative.
Die Verhandlungsführer ignorieren mögliche negative Entwicklungen
im Zuge der EU-Schuldenkrise oder der Weltwirtschaft. Lieber wird
jetzt verteilt, was noch nicht erwirtschaftet ist. Gesamtstaatliche
Aufgaben, etwa der Kampf gegen Altersarmut, wird auf Einzelgruppen
abgewälzt. Dies geschieht getreu dem Motto: keine Steuererhöhungen,
aber dafür hoch mit den Lohnnebenkosten. Beitragszahler, also
Arbeiter, Angestellte und Mittelständler werden die Zeche schon
zahlen.
Auch wenn es mancher der angehenden Großkoalitionäre nicht zu
Kenntnis nehmen mag: Die Bundesrepublik ist kein Land, in dem Milch
und Honig fließen. Wohlstand muss erarbeitet werden. Wahrscheinlich
ist dieser Hinweis für künftige Bundesminister zu unpopulär. Merkel
sollte zum Rapport bitten. Zügig.
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