Schwäbische Zeitung: Wünsche an die Kirche – Leitartikel

Ist das Glas nun eher halb voll oder halb leer?
Die repräsentative Studie unter baden-württembergischen Katholiken –
und Nicht-Katholiken – lässt einigen Interpretationsspielraum. Wenn
jeder vierte katholische Christ schon einmal an Kirchenaustritt
gedacht hat, klingt das ziemlich alarmierend. Wenn 60Prozent der
Katholiken mit der Seelsorge vor Ort zufrieden sind, wenn 53 Prozent
die Gottesdienste schätzen, dann klingt das relativ beruhigend. Und
sehr bemerkenswert ist, dass die gesellschaftlichen Daueraufreger
Zölibat und katholische Sexuallehre innerhalb der Kirche
offensichtlich wenig Zündstoff bergen.

Was Katholiken stört, ist aber ebenfalls bemerkenswert. Viele
empfinden die Kommunikation innerhalb der Kirche als
verbesserungsbedürftig, viele wünschen sich mehr soziales Engagement,
mehr Einmischung in die großen gesellschaftlichen Fragen. Kurz: Sie
wünschen sich eine Kirche, die näher bei den Menschen ist, die
gleichermaßen das Bedürfnis nach Spiritualität und beherztem
Engagement befriedigt.

Ja, so unkompliziert war und ist sie eigentlich gedacht, die
Kirche. Fast zwangsläufig resultiert daraus die Frage, weshalb das
Unkomplizierte kompliziert geworden ist oder zumindest so wirkt. Und
ob sich dahinter möglicherweise eine baden-württembergische oder
deutsche Spezialität verbirgt. Wahrscheinlich letzteres.

Ein Wunsch der Befragten ist es, ihre Kirche möge – salopp
formuliert – nicht so sehr im eigenen Saft kochen, sondern offener
werden. Was könnte das heißen? Vielleicht dies: Mutter Kirche kommt
vielen Menschen zu sehr als Behörde daher, die Steuer-Milliarden zu
verwalten hat, als Institution neben vielen anderen, mit vielen
Gremien, mit gewachsenen Hierarchien, mit vielen Mitarbeitern, die
sich in dieser Bürokratie gemütlich eingerichtet haben. Aber darüber
könnte – wiederum salopp formuliert – das Kerngeschäft gelitten
haben: die unkompliziert gelebte und verkündete christliche
Botschaft.

Falls es so ist, dann steht sich die Kirche in gewisser Weise
selbst im Weg.

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