Um in den Beschlüssen des Brüsseler Minigipfels
zur Flüchtlingskrise den Beginn einer abgestimmten
EU-Flüchtlingspolitik zu sehen, wie es Kanzleramtsminister Peter
Altmaier am Montag tat, braucht es schon viel Optimismus. Und dass
der angebracht ist, steht leider zu bezweifeln.
Bei dem Treffen schoben sich die Regierungschefs lange Zeit
gegenseitig die Schuld an der Krise zu, anstatt zusammenzuarbeiten.
Die Balkanstaaten kritisierten Griechenland, das seine Seegrenze zur
Türkei nicht kontrolliere. Merkel bearbeitete den Athener
Regierungschef Alexis Tsipras wieder und wieder, damit er der
Einrichtung von 50000 Erstaufnahmeplätzen in seinem Land zustimmte.
Und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ging so weit, sich nur als
„Beobachter“ zu bezeichnen, da in seinem Land wegen der Grenzzäune
kaum noch Flüchtlinge ankämen.
Die EU ist in einem beklagenswerten Zustand. Bei Problemen werden
„europäische Lösungen“ vor allem dann beschworen, wenn es Geld zu
holen gibt. Viel länger schon als die Politik des Durchwinkens in der
Flüchtlingskrise existiert in der EU die Politik des Abstaubens.
Europa ist so lange wichtig, wie es dem eigenen Land nützt. Derzeit
sind es vor allem die Osteuropäer, die diesem Prinzip folgen. Doch
Deutschland von aller Schuld freizusprechen, greift zu kurz.
Merkels Entscheidung, die Flüchtlinge aus Ungarn unkontrolliert
aufzunehmen, hat europäisches Recht gebrochen. Zudem darf man die
Haltung der Osteuropäer auch als Retourkutsche für Merkels als
autoritär empfundenen Kurs in der Griechenland-Krise verstehen. Und
man muss sich verdeutlichen, dass das Wohlstandsniveau in Ungarn oder
Kroatien mit dem in Deutschland noch lange nicht Schritt halten kann.
Verlustängste in der Krise sind dort jedenfalls verständlicher als im
vergleichsweise reichen Deutschland.
Die Wahl in Polen muss allen als Warnung dienen. Europa
funktioniert nur, wenn alle Mitglieder zusammenarbeiten – frei von
nationalen Egoismen, aber auch von allzu moralisierenden Ratschlägen
der großen an die kleinen Partner.
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