Stuttgarter Zeitung: Kommentar zum Anti-Terror-Kampf

Nach den Terroranschlägen von Paris sind
weltweit sehr eindrucksvolle, sehr berührende Zeichen gesetzt worden
für Solidarität und Menschlichkeit, gegen Gewalt, Fanatismus,
Terrorismus. Auch die deutsche Gesellschaft hat dabei sehr auf die
Kraft der Symbole gesetzt – es ist unzweifelhaft eine ihrer Stärken.
Eine ihrer Schwächen ist es, dass sie den Gesten zu selten Taten
folgen lässt. Diese Taten sind nun aber gefragt. Die offene,
tolerante, gerechte Gesellschaft, die wir so gerne hätten, müsste
endlich umfassender verwirklicht werden als bisher. Denn das
überkonfessionelle und übernationale Gedenken hat ein Bild
gemeinsamer Übereinkunft gezeichnet, das sich in der Realität so
nicht wiederfindet. Sonst wäre diese Gesellschaft – das gilt sowohl
für die hier geborenen als auch die zugewanderten Mitglieder –
beispielsweise weiter, was die Integration betrifft (Stichwort
Pegida, Stichwort Parallelgesellschaften), oder sie wäre weiter bei
der Toleranz gegenüber anderen Lebensformen (Stichwort latente
Homophobie).

Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit kann sich
unsere Gesellschaft angesichts der Bedrohung von außen wie von innen
jedoch nicht mehr leisten. Sie reißt Lücken, die Radikale jeder
Richtung nutzen können, um zu zeigen, dass unsere Vorstellung einer
modernen Gesellschaftsordnung eben doch nicht trägt. Es wird zwar nie
eine absolute Sicherheit vor terroristischen Anschlägen geben, aber
die Erfolgsaussichten, durch Terrorakte eine Gesellschaft
unterminieren zu können, schwinden in dem Maße, wie es dieser
Gesellschaft gelingt, Toleranz, Respekt und Gerechtigkeit im Alltag
zu verankern.

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