Südwest Presse: KOMMENTAR · NIEDERSACHSENWAHL

Huckepack-Kampagne

Die Niedersachsen waren gestern zu zwei Wahlgängen aufgerufen –
zur Landtagswahl und zu einer kleinen Bundestagswahl, mit der
zugleich das Schicksal von FDP-Chef Philipp Rösler wie von
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück entschieden werden sollte. So war
es den sechs Millionen Wahlberechtigten zwischen Elbe und Ems
jedenfalls in den vergangenen Wochen unaufhörlich eingeredet worden,
von Politikern und Parteistrategen, von Demoskopen und
Meinungsmachern. Wie sollen wir das doppelte Votum der Niedersachsen
also deuten? Das Referendum über Rösler hat ein sensationelles
Ergebnis gebracht, eine persönliche Oscar-Verleihung für den von den
eigenen Leuten verfolgten Vizekanzler: „And the winner is – Philipp
Rösler.“ Mag der FDP-Vorsitzende auch Nutznießer einer
Huckepack-Kampagne der niedersächsischen CDU-Anhänger zugunsten des
schmalbrüstigen Juniorpartners sein, die mehr dem liberalen
Mehrheitsbeschaffer galt als deren Frontmann – Rösler hat seinen Kopf
aus der Schlinge gezogen. Stattdessen stellt sich nun die Frage, wie
die FDP mit den potenziellen Putschisten Rainer Brüderle und Dirk
Niebel verfährt, die in den letzten Tagen vor der Existenzwahl in
Niedersachsen alles dafür getan hatten, Röslers Ablösung
vorzubereiten. Will sich Brüderle jetzt noch als FDP-Fraktionschef
halten, muss ihm schon eine ganz schräge Begründung dafür einfallen,
dass er ohne Rücksicht auf Verluste bei der Landtagswahl Röslers
Abschuss betrieben hat. Und Peer Steinbrück? Die SPD hat in
Niedersachsen keine Bäume ausgerissen, und das lag gewiss nicht
zuletzt an den schädlichen Debatten um ihren Kanzlerkandidaten. Doch
ist das Ergebnis für die Genossen auch wieder nicht so katastrophal,
dass sich die Frage, ob Steinbrück der richtige Mann für die
Bundestagswahl im Herbst ist, schon jetzt mit einem eindeutigen Nein
beantworten lässt. Außerdem lehrt die Erfahrung, dass sich allein
durch das hektische Auswechseln des Spitzenpersonals die Gesamtlage
einer Partei nicht unbedingt zum Positiven verändert – von
Kollateralschäden für die politische Kultur des Landes ganz zu
schweigen. Als Menetekel für Rot-Grün im Bund taugt das Wahlergebnis
von Niedersachsen schließlich so wenig wie als Überlebensgarantie für
die schwarz-gelbe Koalition in Berlin. Es bleibt, bei allen
Vorteilen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenwärtig in der Hand
hält, spannend. Vieles ist möglich am Abend des 22. September.

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Lothar Tolks
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