Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Die Europäische Union zeigt Ungarn ihre Folterinstrumente. Lange
genug hat es gedauert. Seit dem Wahlsieg der Fidesz-Partei 2010
veränderte die nationalkonservative Regierung von Viktor Orbán das
Land so sehr, dass Ungarn heute schwerlich Mitglied der Europäischen
Union werden könnte. Gravierende Einschnitte bei den Freiheitsrechten
waren schon vor einem Jahr sichtbar, als der kleine Staat für sechs
Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernahm. Damals wies ein tobender
Orbán, der sich jede Einmischung in innere Angelegenheiten Ungarns
verbat, Brüssel in die Schranken. Die EU zog sich ins Schweigen
zurück, wenige kosmetische Reparaturen am umstrittenen ungarischen
Mediengesetz genügten ihr. Doch was Brüssel zufrieden stellte,
bremste Orbán nicht. Das ist inzwischen auch in der EU-Zentrale
angekommen. Der autoritäre Regierungschef drangsaliert mit Angriffen
auf die Unabhängigkeit von Justiz und Notenbank nicht nur seine
Bürger, er fordert damit die EU heraus, die nach eigenem Verständnis
auch eine Wertegemeinschaft ist. Schon um dieses Mitgliedern und
Beitrittskandidaten zu dokumentieren, muss Brüssel handeln, falls
Orbán Verbesserungen nur ankündigt, nicht aber umsetzt. Ungarn ist
zum Testfall geworden für die Glaubwürdigkeit der EU. Dass das Land
in finanziellen Nöten steckt und Geld vom IWF und aus EU-Fonds
braucht, macht den Druck aus Brüssel im Moment so wirkungsvoll. Doch
die Europäische Union sollte sich nicht in falscher Siegesgewissheit
wägen. Um die ungarische Regierung nachhaltig zu einem Umsteuern zu
bewegen, braucht es mehr als Geld.
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Lothar Tolks
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