KOMMENTAR · WINNENDEN
   So viel steht nach dem ersten Verhandlungstag fest: Die 
Aufarbeitung des Amoklaufs von Winnenden ist eine Tortur, für die 
Hinterbliebenen der Opfer ebenso wie für den Angeklagten, den Vater 
des Todesschützen. Er erhält Drohungen und tut vor Gericht, was ihm 
zusteht: Er ist wortkarg. Anwesende, die wissen wollen, wie der Vater
„tickt“, sind enttäuscht. Ein Opferanwalt begrüßt, was Routine ist: 
Den Hinweis des Gerichts, eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung
sei möglich, nennt er ein „gutes Signal“. Ein anderer hält den Daumen
hoch fürs Pressefoto. Gefühle, Worte und Gesten, die mit nüchterner 
Aufklärung nichts zu tun haben. Man wolle keine „Hexenjagd“, heißt es
bei den Nebenklägern. Das ist ein guter Vorsatz, doch die Frage 
bleibt: Geht es wirklich nur um die Feststellung der 
schuldangemessenen Strafe, oder um die Vorführung des Angeklagten? 
Soll sein Fall als abschreckendes Signal für andere Waffenbesitzer 
herhalten – als Ersatz für ein strengeres Waffenrecht, das immer 
wieder gefordert wird, sich aber nicht durchsetzen lässt? So fügt 
sich der Prozess ein in eine Reihe spektakulärer Verfahren von 
Brunner bis Kachelmann, in denen die juristische Prozedur zum 
medialen Spektakel zu verkommen droht. Öffentlichkeit im Gericht 
dient der Kontrolle der Justiz, nicht der Bloßstellung des 
Angeklagten. Und Strafprozesse sind Verfahren zur Bestimmung von 
Strafe, nicht Strafe. Beides scheint immer öfter in Vergessenheit zu 
geraten.
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Südwest Presse
Lothar Tolks
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