Südwest Presse: LEITARTIKEL · GENERATIONENGERECHTIGKEIT

Harter Kampf um Wohlstand

So hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Besuch bei der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) in Paris wohl kaum vorgestellt: Schon zuvor beklagte der
Präsident des Zusammenschlusses der Industrieländer, Angel Gurría,
Deutschland sei kein Vorbild mehr für ein zukunftsträchtiges
Rentensystem. „Anstatt weiter langfristig zu planen und das
Rentensystem auf die Alterung der Bevölkerung einzustellen, werden
sinnvolle Reformen zurückgenommen,“ sagte er. Die Rente mit 63 und
die Mütterrente seien eine Belastung für die jüngere Generation. Da
ist sie wieder, die Frage nach der Generationengerechtigkeit, die von
der großen Koalition hartnäckig negiert wird. Die Älteren hätten sich
die neuen Wohltaten verdient, begründete Arbeitsministerin Andrea
Nahles (SPD) die große Umverteilung. Sie setzte noch eines drauf,
indem sie von einem „fairen Ausgleich zwischen den Generationen“
sprach. So dürften allerdings nur die Älteren denken, die davon
profitieren. Die Jungen dagegen, die am Schluss die Zeche bezahlen
müssen, werden nicht nach ihrer Zustimmung gefragt. Dabei wissen sie
genau, dass sie nicht nur deutlich länger arbeiten müssen, weit über
den 67. Geburtstag hinaus. Bei ihnen wird auch das Rentenniveau und
damit der Lebensstandard deutlich niedriger ausfallen als bei der
heutigen Rentnergeneration. Das ist nicht die einzige Belastung.
Längst ist absehbar, dass der Rentenbeitrag längerfristig deutlich
ansteigen und auch die Kranken- und Pflegeversicherung erheblich
teurer wird. Zudem hinterlässt die heutige Generation ihren Kindern
und Enkeln einen Berg von über 2000 Milliarden Euro Staatsschulden.
Selbst wenn er in den nächsten Jahren nicht weiter anwächst, was ein
kleiner Erfolg wäre, fallen jedes Jahr viele Milliarden an Zinsen an;
Geld, das für andere Staatsausgaben fehlen wird. Das wäre vielleicht
noch zu entschuldigen, wenn es dafür einen Gegenwert gäbe.
Tatsächlich ist die Infrastruktur marode. In Straßen und Schienen
wurde in den vergangenen Jahren ebenso viel zu wenig investiert wie
in die Telekommunikation oder in Bildung. Mit den Schulden wurde zu
einem erheblichen Teil Konsum finanziert, statt Deutschland
zukunftsfähig zu machen. Die heutige Generation hat sich auf Kosten
der nächsten ein schönes Leben gemacht. Zumindest ein schöneres, als
die Enkel haben werden. Denn ihnen vererben wir noch weitere
Probleme. Das beginnt mit der Umweltverschmutzung und Erderwärmung,
die dramatische Folgen befürchten lassen. Die schrumpfende
Bevölkerung beschert ebenso Belastungen wie die weiter steigende
internationale Konkurrenz. Den heutigen Wohlstand zu halten, wird ein
harter Kampf. Warum die Generationengerechtigkeit heftige Schlagseite
hat, zeigt ein Blick auf die letzte Bundestagswahl: Die über
60-Jährigen stellten gut ein Drittel der Wahlberechtigten. Sie gingen
besonders eiftig zur Wahl, um bevorzugt die Parteien anzukreuzen, die
ihnen schönes versprachen: Union und SPD. Die unter 30-Jährigen
stellten nur gut halb so viele Wähler. Diese Schere geht in den
kommenden Jahren noch weiter auseinander. Das lässt wenig
Erfreuliches erwarten. Eines Tages werden die Jungen nicht mehr
bereit sein, die vielen Lasten zu schultern, die ihnen die Alten
aufgebürdet haben. Dann ist guter Rat im wahrsten Sinne des Wortes
teuer. Daher ist es klüger, schon heute auf die Bremse zu treten.
Gerade viele Senioren werden einsehen, dass sie ihren Kindern und
Enkeln nicht nur Lasten und Schulden hinterlassen können. Die
Politiker dürfen nicht den scheinbar einfachen Weg gehen, ihnen
einzureden, dass alles gerecht und bezahlbar ist.

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Ulrike Sosalla
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