Thüringische Landeszeitung: Anders sterben – Sensibler Diskurs zu heiklem Thema / Leitartikel von Sibylle Göbel zum Thema Sterbehilfe-Diskussion im Bundestag

Sterben ist – der sensible Diskurs im Bundestag hat
es eindrücklich gezeigt – genauso individuell wie Leben. Was dem
einen jeglichen Lebensmut raubt und jede Sekunde des Daseins
vergällt, mag für einen anderen kein Grund sein, sich einen schnellen
Tod zu wünschen. Der Bestseller „Ein ganzes halbes Jahr“, der das
Schicksal eines vom Hals ab gelähmten Mittdreißigers schildert, der
schließlich zum Sterben in die Schweiz geht, mag für das eine Extrem
stehe – die nicht minder erfolgreiche Kinokomödie „Ziemlich beste
Freunde“ über das Leben eines in gleicher Weise Gehandicapten für das
andere.

Genau deshalb kann es, was das Thema Sterbehilfe betrifft, wohl
nie die eine Lösung für alle geben. Was es aber geben muss, ist zum
einen die Fortsetzung des gesellschaftlichen Disputs über ein Thema,
das viel zu lange als Tabu galt. Zum anderen eine gesetzliche
Neuregelung, die verhindert, dass die Menschen mit den Füßen
abstimmen. Denn es sind immer mehr Deutsche, die zum Sterben in
Länder wie die Schweiz gehen, in denen Sterbehilfe in gewissen
Grenzen erlaubt und durchaus ein fragwürdiges Geschäft ist – auch
angesichts von Kosten von bis zu 10 000 Franken. Doch welcher Gesunde
will sich anmaßen, über Menschen zu urteilen, die ihrem
unermesslichen Leid ein Ende setzen, einem qualvollen Todeskampf
zuvorkommen, ein würdeloses Dahinvegetieren beenden wollen und
deshalb nur diesen einen Ausweg sehen?

Die Vielfalt der Meinungen im Bundestag hat gezeigt, dass es noch
vieler Debatten zu diesem heiklen Thema bedarf und keine schnelle
Antworten geben wird. Sie hat aber auch gezeigt, dass eine Diskussion
über Sterbehilfe auch eine über Lebenshilfe ist. Wo es gelingt, Leben
auch in der letzten Phase lebenswert zu gestalten, wo Todgeweihte
ohne Schmerzen und Angst sein können, da dürfte der Wunsch nach
vorzeitiger Beendigung des Lebens in den Hintergrund treten.

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