Thüringische Landeszeitung: Gelassen bleiben – Kein Skandal bei Orbáns Besuch bei Kohl / Leitartikel von Axel Zacharias zum privaten Besuch des ungarischen Premiers Viktor Orbán bei Altkanzler Helmut Kohl in Oggersheim

Es kann wohl als sicher gelten, dass der Schwenk
der CDU unter Angela Merkel von der konservativen Ausrichtung weg
Altkanzler Helmut Kohl nicht gefällt. Und er ist in mancher Hinsicht
wie ein Elefant, der nichts vergisst, wie lange es auch her sein mag:
Dass das „Mädchen“, wie er Merkel mit seiner Altherrenattitüde einst
nannte, ihn nach der Spendenaffäre aufs Altenteil schickte, brennt
ihm mit Sicherheit noch heute auf der Seele. Und ihm, den man ganz
gewiss einen großen Europäer nennen darf, schmeckt der Zustand der EU
vermutlich ganz und gar nicht.

Das alles aber hat ihn nicht zu kleinlicher Rache getrieben. Kohl
hat im Umfeld des Orbán-Besuchs die Gelegenheit nicht zu einer
Generalabrechnung mit Merkel genutzt. Das ist ihm hoch anzurechnen,
obwohl gerade dies nicht wenige Beobachter erwartet hatten. Und
Rechtsnationalist Orbán ist ihm in dieser Hinsicht gefolgt. Das ist
das eigentlich Überraschende an der Visite des ungarischen Premiers
in Oggersheim. Der Skandal ist ausgeblieben. Die Kanzlerin selbst
nannte den Besuch „nützlich“. Einzig Kohls Warnung vor Alleingängen
ließe sich als einen Schuss in Richtung Kanzleramt interpretieren.

Und was bleibt von dem mit großen Erwartungen hinsichtlich einer
Generalabrechnung mit der Merkel-Politik überfrachteten Besuch? Zwei
alte Freunde – Kohl war zu seiner Regierungszeit so etwas wie ein
deutscher Mentor des jungen, aufstrebenden Politikers Orbán – haben
sich getroffen. Die Skandalisierung dessen war der eigentliche
Skandal. Persönliche Besuche sollte man eben nicht überbewerten. Das
gilt auch für Horst Seehofer und Wladimir Putin. Bleiben wir also
gelassen …

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