Thüringische Landeszeitung: Gerechte Strafe – Tugçe-Urteil: Für Täter nur ein Ausweg / Leitartikel von Axel Zacharias zum Darmstädter Urteil gegen Sanel. M.

Ein Gerichtsurteil kann niemals Wiedergutmachung
leisten. So wird der Richterspruch gegen Sanel M. im Tugçe-Prozess am
Landgericht Darmstadt bei der einen Seite für Empörung sorgen, weil
sie ein Menschenleben gegen drei Jahre Jugendstrafe aufwiegt. So
schwer es fällt: Dieser Ansatz ist falsch und vom Gesetzgeber auch
nicht gewollt.

Die andere Seite sieht die Gerechtigkeit auf der Strecke, weil
eine Ohrfeige nach diversen beiderseitigen Beleidigungen Sanel M.
gleich drei Jahre in Haft bringt. Die Todesfolge für Tugçe Albayrak
ist bei dieser Sichtweise eine bedauerliche Folgeerscheinung. Man
wird es am Ende keiner Seite recht machen können.

Natürlich darf auch diskutiert werden, ob Tugçe Albayrak
Zivilcourage gezeigt hat oder ob der emanzipierten jungen Frau in
einer schwierigen Situation eher das Mundwerk davongelaufen war, als
sie auf Sanel M. traf.

Der sollte das keinesfalls zu harsch ausgefallene Urteil annehmen,
denn bei allen beleidigenden Äußerungen auch von der zu Tode
gekommenen Tugçe Albayrak ist eine gewaltsame Reaktion nicht
gerechtfertigt. Zudem ist Sanel M. trotz Jugendstrafrecht darüber
hinaus hart bestraft, denn in der Haftanstalt wurde ihm von einem
Mithäftling die Nase gebrochen, und ein Leben in seiner Heimatstadt
Offenbach wird nach seiner gar nicht allzu fernen Haftentlassung kaum
mehr möglich sein. Ein Orts- und Identitätswechsel scheint angeraten.
Sein Leben wird völlig umgekrempelt werden.

Dies könnte der junge Mann aber auch als Chance begreifen, sein
Leben noch einmal von Grund auf neu zu gestalten. Und diesmal
vielleicht mit etwas mehr Nachdenken und etwas weniger Gewalt. Die
auch von ihm verinnerlichte Kultur des machohaften Beleidigtseins hat
ihn in eine schreckliche Sackgasse geführt, aus der es aber einen
Ausweg gibt. Nur gehen muss er diesen selbst.

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