Thüringische Landeszeitung: Kommentar zur Großen Koalition

Die Mitglieder der SPD hätten mit dem Klammerbeutel
gepudert sein müssen, um ein unerwartetes Nachwahl-Geschenk wie den
sozialdemokratisch dominierten Koalitionsvertrag abzulehnen. Ihr
Vorsitzender Sigmar Gabriel hätte zurücktreten müssen, in den
Meinungsumfragen wäre es für die Traditionspartei noch weiter steil
bergab gegangen. Jetzt wird die Große Koalition zum großen Los für
die SPD, und für Gabriel ist sie der Anlauf zur Kanzlerschaft. Die
Union täuscht sich, falls sie nun, nach dem Räumen vieler
bürgerlicher Politik-Positionen auf vier Jahre ruhiges Koalieren
hofft. Im Doppelspiel mit den sozialdemokratisch geführten
Landesregierungen wird der Bundesrat zum Instrument Gabriels, die
Union inhaltlich weiter vor sich her zu treiben. Die überlegene
Medienpräsenz des kleinen Koalitionspartners wird ein Übriges tun.

Die koalitionsinterne Dominanz setzt sich bei der Verteilung der
Ministerposten fort. Größter Verlierer ist Seehofers CSU, die mit dem
Innenministerium ihr einziges Schlüsselressort verliert. Die CDU
besetzt unverhältnismäßig wenige Ministerposten und die SPD hat es
geschafft, besonders die Ministerien zu ergattern, die viel
Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Dass mit Manuela Schwesig jemand
Familienministerin wird, der staatlichen Einfluss auf Familie und
Erziehung ausbauen will, kann nur bedeuten, dass Kanzlerin Merkel
einen weiteren Grundpfeiler christdemokratischer Politik opfert.

Und was bedeutet all das für Thüringen im kommenden Wahljahr?
Linke, Grüne und Liberale können sich besser profilieren. CDU und SPD
werden für Gelingen und Versagen der Großen Koalition in Mithaftung
genommen. Und für glaskugelbasierte Koalitionsspekulationen bedeutet
es absolut nichts. Ebenso für den Bestand der Erfurter
Nudelholz-Koalition. Alles bleibt möglich in Thüringen.

Von Bernd Hilder

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