Thüringische Landeszeitung: Null Verständnis – Die GDL tut sich mit Streik keinen Gefallen / Leitartikel von Sibylle Göbel zum Thema Lokführerstreik

Es ist in gewisser Weise paradox: Anstatt wie
gewohnt über die Deutsche Bahn zu schimpfen, die doch mit
Unpünktlichkeit, Zugausfällen und defektanfälligen ICE immer wieder
Anlass dafür bietet, richtet sich der Unmut vieler Reisender nun
gegen die Lokführer. Jene, für deren Forderungen nach mehr Lohn und
kürzerer Arbeitszeit sie doch im Grunde Verständnis aufbringen.

Aber mit der neuerlichen Ankündigung eines Streiks ist dieses
Verständnis geschmolzen wie Eis in der Sonne. Gewiss: Ein Ausstand
kommt immer zur Unzeit – und er würde seine Wirkung verfehlten, täte
er keinem weh. Doch es darf nicht sein, dass Partikularinteressen die
vitale Funktionen eines Landes lahmlegen. Noch dazu in so rascher
Folge – schließlich ist es die fünfte Streikaktion in dieser
Tarifrunde, und sie trifft das Land nicht zuletzt wegen der
Herbstferien auch in Thüringen in einer sensiblen Phase.

Das Problem ist nicht, dass die Lokführergewerkschaft eine
Forderung aufmacht, auf die ihr Kontrahent bisher nicht in
gewünschter Weise einging. Das Problem in diesem Arbeitskampf ist,
dass eine Gewerkschaft sich anmaßt, Tarifverträge für das gesamte
Bahnpersonal abschließen zu wollen, obwohl viele Bahnmitarbeiter gar
nicht GDL-Mitglied sind. Koste es, was es wolle. Für die GDL ist der
Arbeitskampf offenbar nur Mittel zum Zweck: Nicht nur, um die eigene
Existenz in einer Zeit zu rechtfertigen, in der den Gewerkschaften
noch immer Mitglieder davonlaufen und mit der Einführung des
Mindestlohns ein wichtiges Ziel abhanden kommt. Der GDL geht es auch
schlicht um mehr Macht und mehr Einfluss.

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, soll Martin Luther 1521
in Worms ausgerufen haben. Fast scheint es, als habe GDL-Chef Claus
Weselsky sein erklärtes Vorbild zu wörtlich genommen: Seine
unverrückbare, ja rücksichtslose Haltung ist einmal mehr ein Argument
zugunsten eines Streikverbots bei kleinen Gewerkschaften.

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