Thüringische Landeszeitung: Reiche machen Arme – Statistik schafft zusätzliche Not / Leitartikel von Florian Girwert zum Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands

Mit Verlaub, der Eindruck, dass in Deutschland
immer mehr Menschen verarmen, ist schlicht falsch. Da müssen sich
auch Wohlfahrtsverbände an die eigene Nase fassen. Die Rechnung ist
eigentlich ganz einfach: Sobald für einen Teil der Bevölkerung etwa
Tariferhöhungen anstehen, gilt eine höhere Zahl ihrer Mitbürger als
arm, weil das durchschnittliche Einkommen im Gegensatz zu den
Transferleistungen gestiegen ist.

Ebenso könnte es sein, dass eine Gruppe Wohlhabender in eine Stadt
zieht. Allein dadurch gelten plötzlich andere Menschen in der Stadt
als arm. Da machen es sich die deutschen Sozialverbände ein wenig zu
einfach. Natürlich gibt es in unserem Land Missstände – und sie sind
wahrlich nicht zu knapp. Hartz IV erfreut sich keiner großen
Beliebtheit, gleichzeitig bekommen die Tafeln stets mehr zu tun. Aber
mit Hilfe von Statistiken den Eindruck zu erwecken, dass ein Fünftel
der Bevölkerung arm sei, ist mehr als nur übertrieben. Nicht jeder,
der weniger hat als andere, muss gleich als arm gelten – das
stigmatisiert ganze Bevölkerungsschichten noch weit mehr, als es
nötig wäre.

Zu diesen Stigmatisierten gehören übrigens auch die meisten
Studenten, da ihr verfügbares Einkommen selten oberhalb von 60
Prozent des Durchschnitts liegt. Gleichzeitig dürfte sich die
Mehrheit der Studenten nicht als arm ansehen – stehen doch bei vielen
die Eltern bereit, wenn es mal brennt.

Es muss schon verwundern, dass etwa nach dem letzten Weltkrieg
relativ gesehen weniger Menschen als arm galten, als das heute der
Fall ist. An dieser Stelle ist es nötig, dass sich Sozialverbände
Gedanken machen, wie sie künftig Missstände in Deutschland benennen
wollen.

Natürlich gibt es eine erhebliche Ungleichverteiltung des
Vermögens. Die Umverteilung nach oben muss ein Ende haben. Aber die
anhaltende Beschreibung flächendeckender Armut in Deutschland
entspricht nicht der Realität.

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