Thüringische Landeszeitung: Staatsmann mit Fluppe – Helmut Schmidt, der Welterklärer der Deutschen / Leitartikel von Bernd Hilder zum Tode von Altkanzler Schmidt

Seinem Vorgänger Willy Brandt hat er sich stets
überlegen gefühlt, genauso wie seinem Nachfolger Helmut Kohl. Dass
beide als größere Staatsmänner in die Geschichte eingehen als er, der
eine als Architekt der Ostpolitik, der andere als Kanzler der
Einheit, mag ihn gewurmt haben. Nichtsdestotrotz war Helmut Schmidt
ein bedeutender Staatsmann, den viele Deutsche erst zu verehren
begannen, nachdem ihn letztendlich der Streit mit der eigenen Partei,
der SPD, 1982 die Kanzlerschaft gekostet hatte.

Schmidt kultivierte die Zigarette als Kampfmittel gegen
stromlinienförmige politische Korrektheit und für das Bürsten gegen
den Strich des Zeitgeistes. Mit einer Vielzahl von Büchern und
unzähligen Fernsehauftritten wurde Schmidt zum Welterklärer der
Deutschen, auch derjenigen, die ihn nie gewählt hatten.

Der ungeteilte Respekt des „elder statesman“ blieb Schmidt in den
Jahren seiner von politischen und wirtschaftlichen Krisen geprägten
Kanzlerschaft versagt. In der Ölkrise bescherte er den West-Deutschen
einen autofreien Sonntag und ökonomisch hatte ausgerechnet der
Weltwirtschaftslenker Schmidt hohe Inflationsraten zu verantworten.
Grandiose Standfestigkeit bewies er dafür im Kampf gegen die
Linksterroristen der RAF.

Als Manager der Macht und des Möglichen funktionierte Schmidt mit
schneidiger Präzision, aber für wolkige Zukunftsentwürfe fehlten ihm
Wille und Sinn: Wer Visionen habe, der möge doch bitte zum Arzt
gehen, war sein Credo.

Mit den Linken in seiner eigenen Partei lag Schmidt im
Dauerclinch. Der Nato-Doppelbeschluss war ein wichtiges Vehikel, um
die Mauer zum Einsturz zu bringen. Die SPD beging den historischen
Irrtum und versagte Schmidt die Gefolgschaft. Er hat es besser
gewusst.

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