Thüringische Landeszeitung: Tusks Kompromiss – Ein „Brexit“ ist noch nicht verhindert / Leitartikel von Axel Zacharias zum Angebot Brüssels an Großbritannien als Reaktion auf Forderungen Londons nach Reformen in der EU

Die Kuh ist noch lange nicht vom Eis. Zwar tönte
David Cameron – getrieben von den Umfragewerten der britischen
UKIP-Partei – noch vor einigen Monaten wesentlich herausfordernder.
Aktuell kommt er weniger rebellisch herüber. Doch darf bezweifelt
werden, dass die Zugeständnisse, die er beim Präsidenten des
Europäischen Rates, Donald Tusk, herausholen konnte, in London
überall auf ausreichend Wohlwollen treffen. Das Referendum über den
Verbleib Großbritanniens in der EU ist damit mitnichten zur Formalie
geworden. Vorerst aber kann der Premier darauf verweisen, einige
Änderungen durchgeboxt zu haben.

Auf der anderen Seite fragen sich die Bürger der restlichen
EU-Staaten, warum die Briten immer wieder teils auch teure
Sonderrechte eingeräumt bekommen. Wenn stark nationalistisch regierte
Staaten wie Polen oder Ungarn ebensolche Forderungen aufmachen
sollten, was dann? Die geopferte Freizügigkeit kann man durchaus auch
anderswo als in London infrage stellen. Extrawürste könnten bald
Schule machen.

Zu beobachten ist derzeit eine auseinanderdriftende EU. Am Ende
des Weges könnte dann eben doch das Europa der zwei Geschwindigkeiten
mit einem Kerneuropa und den darum gruppierten armen Verwandten
stehen. Vielleicht war die fast kopflos übereilte Erweiterungsorgie
der Vergangenheit doch reichlich unbedacht. Masse statt Klasse eben!

Zunächst aber sollte man sich fragen, ob die Briten einen Austritt
ihres Landes aus der Union überhaupt politisch oder wirtschaftlich
verkraften könnten. Als ausgemacht gilt allerdings auch, dass ein
solcher Schritt Europa extrem schwächen würde. Irgendwie braucht man
sich nämlich gegenseitig.

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