Wolf Biermann ist, wie er ist: Immer für eine
Überraschung gut. Einer, der sich nicht in ein Korsett pressen lässt.
Autark und unangepasst – und manchmal auch anstrengend. Dass der
Auftritt des 77-Jährigen im Bundestag zu einer Abrechnung mit der
SED-Nachfolgepartei gerät, davon war nicht zwingend auszugehen. Aber
ausgeschlossen war es eben auch nicht.
Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack: Zwar darf man einem, den
die DDR erst mundtot gemacht und dann aus dem Land geworfen hat,
zugestehen, dass er aus dieser Erfahrung heraus auf ewig einen Groll
gegen jene hegt, die ihm und anderen Systemgegnern das angetan und
aus seiner Sicht nichts dazugelernt haben.
Doch Biermanns Auftritt ließ den Respekt vor dem Hohen Haus
vermissen. Indem er die Linke-Parlamentarier attackierte – mithin
eine aus freien und demokratischen Wahlen hervorgegangenen Fraktion
-, griff er auch deren Wählerschaft an, die sich bekanntlich vor
allem aus Ostdeutschen rekrutiert. Ob das das richtige Signal war –
ausgerechnet zum Jahrestag des Mauerfalls?
Es mag Kalkül gewesen sein, die Linke im Bundestag ihren
Widersachern zum Fraß vorzuwerfen. Andererseits aber zeigt Biermanns
Auftritt auch, dass nichts vergessen ist. Und die Linke gut daran
tut, ihre Vergangenheit stringend aufzuarbeiten und sich – in Wort
und Tat und Person – konsequent von denen abzusetzen, die ein Land
fast in den Abgrund geritten haben.
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