Wir sehen nur unser Glück. Mehr noch: Wir schauen
nur darauf, was uns der Mauerfall gebracht hat. Das ist gar nicht
verkehrt. Jedenfalls nicht an diesen Gedenktag. In diesem Gedenkjahr.
Aber es ist nicht alles. Der 9. 11. 1989 ist nicht nur ein deutsches
Datum. Dieser Tag ist Wegmarke, Ende und Anfang. Es geht um das Ende
der Blöcke. Es ist der Beginn einer Zeit, die wir womöglich einmal
als Glück dazwischen wertschätzen werden. Als Zwischenraum, der
schneller an seine geschichtlichen Grenzen stößt, als wir das wahr
haben wollen… Als uns lieb sein kann.
Michail Gorbatschow, den wir am liebsten als den netten Mann aus
Russland betrachten, der nur noch im Rückblick etwas zu sagen hat,
machte jetzt mit schweren Vorwürfen gegen den Westen von sich reden.
Er ist von der Sorge getragen, dass die Welt an der Schwelle zu einem
neuen Kalten Krieg steht. Mehr noch: Der Mann, den wir unterschätzend
Gorbi nennen, gibt zu bedenken, dass dieser Kalte Krieg schon
begonnen haben mag. Das zielt auf den Ukraine-Konflikt. Aber wohl
nicht nur auf diesen: Es ist viel schief gelaufen in der Austarierung
des Kräfteverhältnisses zwischen Ost und West, vor allem zwischen
Russland und den USA. Gorbatschow wirft dem Westen und insbesondere
den USA vor, ihre Versprechen nach der Wende 1989 nicht gehalten zu
haben. Und dieser Vorhalt lässt sich auch an Feier- und Gedenktagen
nicht so einfach ausräumen.
Gewiss ist: Gerade Deutschland sollte hier eine Mittlerrolle
spielen. Helmut Kohl hat seinerzeit Gorbatschow versprochen, dass
Russland nicht an den Rand gedrängt wird. Und die Deutschen wünschen
sich ein gutes Verhältnis mit Russland, bei gleichzeitiger voller
Integration Deutschlands in die EU und die Nato. Das geht auch aus
dem hochaktuellen TLZ-Insa-Meinungstrend hervor. Heute ist
Gorbatschow bei Angela Merkel. Sie ist anerkanntermaßen keine Kalte
Kriegerin. Sie muss jetzt ihren Spielraum nutzen.
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