Unterschied zwischen Offizialdelikt und Antragsdelikt

Unterschied zwischen Offizialdelikt und Antragsdelikt
Alle Straftaten können vor Gericht landen
 

Was ist ein Offizialdelikt?
Ein Offizialdelikt ist eine Straftat, bei der die Strafverfolgungsbehörden – also Polizei und Staatsanwaltschaft – verpflichtet sind, von Amts wegen zu ermitteln, sobald ihnen die Tat bekannt wird. Ein Strafantrag des Opfers ist nicht erforderlich. Die Ermittlungen beginnen automatisch, auch wenn das Opfer das nicht möchte oder sogar ausdrücklich gegen eine Strafverfolgung ist.
„Der Staat betrachtet Offizialdelikte als besonders gesellschaftsschädigend – daher dürfen sie nicht ungesühnt bleiben“, erklärt Rechtsanwalt Jan Manshardt. Beispiele für Offizialdelikte sind etwa:
• Körperverletzung mit gefährlichen Mitteln
• Raub und räuberische Erpressung
• Sexueller Missbrauch von Kindern
• Tötungsdelikte
• Einbruchsdiebstahl
• Straßenverkehrsdelikte wie Trunkenheit am Steuer oder Unfallflucht
Sobald Polizei oder Staatsanwaltschaft von einem solchen Delikt erfahren – sei es durch Anzeige, Medienberichte oder andere Quellen – müssen sie Ermittlungen einleiten. Ein Rückzug ist nicht möglich.
Was ist ein Antragsdelikt?
Im Gegensatz dazu steht das Antragsdelikt. Hier ist ein Strafantrag der verletzten Person notwendig, damit überhaupt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann. „Ohne diesen Antrag passiert – mit wenigen Ausnahmen – gar nichts“, so Manshardt. Ein bloßes Anzeigen der Tat reicht bei einem Antragsdelikt nicht aus. Erst wenn ein schriftlicher Strafantrag gestellt wurde, darf die Staatsanwaltschaft tätig werden.
Typische Antragsdelikte sind:
• Einfache Körperverletzung (§ 223 StGB)
• Beleidigung (§ 185 StGB)
• Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)
• Diebstahl geringwertiger Sachen (§ 248a StGB)
• Sachbeschädigung (§ 303 StGB), sofern kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht
„Gerade im privaten oder nachbarschaftlichen Bereich spielen Antragsdelikte eine große Rolle“, so Manshardt. Häufig gehe es um Beleidigungen, leichte Körperverletzungen oder kleine Sachschäden. In solchen Fällen entscheidet das Opfer selbst, ob es ein Verfahren überhaupt will.
Warum ist die Unterscheidung so wichtig?
Für Betroffene hat die Unterscheidung zwischen Offizial- und Antragsdelikt erhebliche Konsequenzen. „Wer glaubt, eine Anzeige reiche bei jeder Straftat aus, irrt“, sagt Manshardt. Gerade bei Antragsdelikten müsse oft schnell gehandelt werden – denn die Frist zur Stellung eines Strafantrags beträgt nur drei Monate ab Kenntnis von Tat und Täter (§ 77b StGB).
Außerdem kann die Unterscheidung Einfluss auf das Strafmaß, die Diversion (z.?B. Einstellung gegen Auflagen) oder den Ausgang des Verfahrens haben. Im Fall eines Antragsdelikts kann das Verfahren beispielsweise mit Zustimmung der Beteiligten eingestellt werden. Bei Offizialdelikten ist das nur in Ausnahmefällen möglich.
Mischformen: Das relative Antragsdelikt
Manche Delikte sind sogenannte relative Antragsdelikte. Das bedeutet: Grundsätzlich ist ein Strafantrag nötig – es sei denn, die Staatsanwaltschaft bejaht ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Ein Beispiel ist die einfache Körperverletzung. Wird diese im Rahmen eines Beziehungsstreits begangen, kann das Verfahren eingestellt werden, wenn das Opfer keinen Antrag stellt. Erfolgt die Tat jedoch in einem besonders aggressiven oder wiederholten Kontext, kann auch ohne Antrag ermittelt werden.
„Hier zeigt sich, wie wichtig die Einschätzung eines Fachanwalts ist“, erklärt Manshardt. „Wer sich auf sein Bauchgefühl verlässt oder Fristen versäumt, kann sein Recht unter Umständen nicht mehr durchsetzen.“
Beispiele aus der Praxis
Rechtsanwalt Manshardt gibt konkrete Einblicke:
Beispiel 1: Körperverletzung unter Nachbarn
Ein Mann wurde von seinem Nachbarn bei einem Streit um die Grundstücksgrenze geschlagen. Es handelte sich um eine einfache Körperverletzung. Der Mandant erstattete Anzeige, jedoch wurde das Verfahren nicht aufgenommen – da kein Strafantrag gestellt wurde. Erst nach rechtlicher Beratung reichte er diesen fristgerecht nach, und das Verfahren konnte starten.
Beispiel 2: Beleidigung im Straßenverkehr
Eine Autofahrerin wurde auf der Straße wüst beschimpft und zeigte den Täter an. Da es sich um eine Beleidigung handelte, wurde sie von der Polizei schriftlich aufgefordert, einen Strafantrag zu stellen – was sie zunächst nicht tat. Auch hier war erst nach anwaltlicher Aufklärung klar, dass sie aktiv werden musste.
Beispiel 3: Trunkenheit am Steuer
In einem weiteren Fall wurde ein Verkehrsteilnehmer mit 1,6 Promille am Steuer erwischt. „Hier handelt es sich um ein Offizialdelikt“, sagt Manshardt. Die Ermittlungen werden automatisch eingeleitet – unabhängig davon, ob ein Unfall vorlag oder jemand geschädigt wurde. Der Autofahrer hatte gehofft, die Sache würde ohne Konsequenzen bleiben. Ein Trugschluss.
Rechtsanwaltliche Unterstützung: Wann sollte man sich Hilfe holen?
Sowohl für Opfer als auch für Beschuldigte ist anwaltliche Unterstützung in Strafsachen entscheidend. Opfer sollten sich frühzeitig beraten lassen, ob ein Strafantrag nötig ist und wie sie diesen korrekt stellen. Beschuldigte wiederum müssen wissen, ob ihnen ein Verfahren droht – selbst wenn kein Antrag gestellt wurde – und wie sie sich effektiv verteidigen können.
„In beiden Fällen kann ein frühzeitiger Gang zum Anwalt das Verfahren entscheidend beeinflussen“, betont Manshardt. Gerade im Strafrecht gehe es oft um Fristen, formale Anforderungen und strategische Entscheidungen, die juristische Erfahrung erfordern.
Fazit: Offizialdelikt oder Antragsdelikt – ein kleiner Unterschied mit großer Wirkung
Wer glaubt, bei allen Straftaten werde automatisch ermittelt, irrt. Ebenso gefährlich ist die Annahme, dass bei jeder Anzeige auch ein Antrag gestellt wurde. Die Unterscheidung zwischen Offizialdelikten und Antragsdelikten ist ein zentrales Element des deutschen Strafrechts – mit erheblichen Auswirkungen für alle Beteiligten. Rechtsanwalt Jan Manshardt aus Berlin rät: „Lassen Sie sich frühzeitig anwaltlich beraten, wenn Sie Opfer oder Beschuldigter einer Straftat sind. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch durchsetzen – oder sich wirksam verteidigen.“