Warum Weihnachten nicht zur Scheidung führen muss

Warum Weihnachten nicht zur Scheidung führen muss
Streit an Weihnachten vermeiden
 

Frage: Es ist ungewöhnlich, dass Sie als Anwalt Ratschläge zu Beziehungen geben. Wieso haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden?

Rechtsanwalt Helmut Kirchhof: Aus Erfahrung weiß ich, dass viele Ehen ausgerechnet am Fest der Liebe in die Krise geraten. Die Gründe sind fast immer identisch und die Katastrophe lässt sich leicht vermeidne, wenn man sich etwas damit befasst.

Frage: Herr Kirchhof, jedes Jahr steigt rund um die Weihnachtszeit die Zahl der Trennungsanfragen. Wieso sind gerade die Feiertage so belastend für viele Paare?

Rechtsanwalt Helmut Kirchhof: Weihnachten ist eine sehr emotionale Phase. Viele Paare gehen mit hohen Erwartungen in die Festtage: alles soll harmonisch, besinnlich und perfekt sein. Gleichzeitig steigt der Stress – Einkäufe, Besuch, Organisation, familiäre Verpflichtungen. Dazu kommen alte Konflikte, die im Alltag vielleicht überdeckt werden, aber an ruhigen Tagen wieder hochkommen. Diese Mischung aus Erwartungsdruck, Nähe und Stress ist für viele Beziehungen eine Herausforderung. Es ist nicht das Weihnachtsfest selbst, das belastet – sondern das, was Menschen damit verbinden.

Frage: Was sind aus Ihrer Erfahrung die häufigsten Ursachen, die zu Streit während der Feiertage führen?

Kirchhof: Typischerweise sind es mehrere Faktoren: Erstens unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Weihnachten ablaufen „muss“. Jeder bringt seine eigenen Traditionen mit, die nicht immer miteinander harmonieren.

Zweitens die Frage: Welche Familie besuchen wir? Wer fühlt sich zurückgesetzt? Drittens die schlichte Überforderung mit Aufgaben, Terminen und Erwartungen. Oft entsteht Streit nicht aus dem Anlass selbst, sondern weil sich jemand nicht gesehen oder überlastet fühlt. Die Feiertage verstärken solche Empfindungen.

Frage: Viele Paare berichten, dass der Druck, ein „perfektes Weihnachtsfest“ zu erleben, besonders hoch ist. Warum wirkt sich das so stark aus?

Kirchhof: Der gesellschaftliche Druck ist enorm. Viele Menschen vergleichen sich unbewusst mit Idealbildern – aus Werbung, sozialen Medien oder der eigenen Kindheit. Dort ist Weihnachten immer festlich, friedlich und liebevoll. Wenn die Realität dann chaotisch, laut, stressig oder schlicht normal ist, entsteht das Gefühl, „etwas stimmt nicht“. Dieser Perfektionsanspruch führt zu Enttäuschungen und Spannungen. Dabei sollte man sich bewusst machen: Perfektion ist nicht das Ziel. Nähe, Verständnis und gemeinsames Erleben sind es.

Frage: Welche Möglichkeiten haben Paare, um Konflikte an Weihnachten zu vermeiden?

Kirchhof: Das Wichtigste ist Kommunikation. Besonders vor den Feiertagen sollte offen besprochen werden, was sich jeder wünscht, was Stress verursacht und welche Kompromisse möglich sind. Paare tun sich damit oft schwer – aus Angst vor Streit. Doch gerade dieses Gespräch verhindert später Missverständnisse.

Weitere wichtige Punkte sind: nicht zu viele Termine annehmen, Aufgaben fair verteilen, bewusst Pausen einplanen und akzeptieren, dass nicht alles perfekt sein muss. Und natürlich: Humor hilft in vielen Situationen deutlich weiter, als man denkt.

Frage: Viele Mandanten fragen sich: Ist es ein schlechtes Zeichen, wenn es an Weihnachten wieder einmal Streit gibt?

Kirchhof: Nein, überhaupt nicht. Streit ist ein normaler Teil jeder Beziehung. Besonders an Weihnachten ist die emotionale Intensität einfach höher. Wichtig ist nicht, ob es knallt – sondern wie man mit dem Konflikt umgeht. Wenn Paare miteinander im Gespräch bleiben, ihre Bedürfnisse ausdrücken können und bereit sind, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen, muss ein Streit keinen bleibenden Schaden hinterlassen. Problematisch wird es erst dann, wenn Konflikte chronisch werden, sich über Jahre wiederholen oder niemand mehr bereit ist, auf den anderen zuzugehen.

Frage: Wann sollten Paare professionelle Hilfe suchen?

Kirchhof: Wenn Streit zu einem dauerhaften Muster wird und beide Partner das Gefühl haben, immer wieder dieselben Schleifen zu drehen, kann eine Paarberatung oder Mediation sehr hilfreich sein. Auch eine anwaltliche Erstberatung kann sinnvoll sein – nicht, um sofort eine Trennung einzuleiten, sondern um Klarheit zu bekommen. Viele Paare tun sich leichter, konstruktiv miteinander zu sprechen, wenn sie wissen, welche rechtlichen Optionen bestehen und dass sie nicht „im Blindflug“ handeln.

Frage: Was raten Sie Paaren, die Sorgen haben, dass die Feiertage erneut eskalieren könnten?

Kirchhof: Reden Sie vorher miteinander – offen, ehrlich und ohne Vorwürfe. Planen Sie bewusst weniger, nicht mehr. Geben Sie sich gegenseitig Raum und Zeit für Pausen. Seien Sie sich bewusst, dass Weihnachten nicht perfekt sein muss, um schön zu sein. Und vor allem: Versuchen Sie, liebevoll miteinander umzugehen. Die Feiertage können ein Anlass sein, Nähe zu schaffen – nicht Distanz. Weihnachten muss nicht zur Scheidung führen. Es kann im Gegenteil eine Gelegenheit sein, sich daran zu erinnern, warum man überhaupt zusammen ist.

Frage: Ihr abschließender Rat an Paare?

Kirchhof: Nehmen Sie den Druck heraus. Weihnachten ist kein Beziehungstest. Es ist ein Fest, das – richtig gestaltet – verbinden kann. Wenn Paare bereit sind, realistische Erwartungen zu haben, Rücksicht zu nehmen und gemeinsam Lösungen zu finden, können die Feiertage zu einer Zeit werden, die stärkt statt belastet. Und wenn Unterstützung nötig ist, sollte man sie frühzeitig suchen. Eine gute Beratung kann oft verhindern, dass Konflikte eskalieren.