WAZ: CDU zwischen Folklore und Vision – Ohne Orientierung. Kommentar von Tobias Blasius

Ein „Signal der Geschlossenheit“, wie der scheidende
Ministerpräsident Jürgen Rüttgers glauben machen will, ist die Kür
des neuen CDU-Fraktionschefs im NRW-Landtag beileibe nicht. Vielmehr
ist sie ein Indiz der Orientierungslosigkeit, ein Symptom der inneren
Zerrissenheit der Partei nach dem Wahldebakel vom 9. Mai.

Der ländlich-rustikale Karl-Josef Laumann setzte sich in einer
Fraktion, die mehrheitlich aus Abgeordneten der verbliebenen
konservativen Hochburgen besteht, hauchdünn gegen den liberalen
Modernisierer Armin Laschet durch. Die Parlamentarier wirkten seltsam
unentschieden zwischen dem leutseligen CDU-Blaumann und dem
schwarz-grünen Polit-Feuilletonisten.

Das Herz der Christdemokraten sehnt sich in schwerer Zeit nach
Kirche, Kolpingfamilie und klarer Kante. Der Verstand sieht die
künftige Mehrheitsfähigkeit auch in den einwohnerstarken,
bürgerlichen Großstadt-Milieus in NRW, die zunehmend von den Grünen
besetzt werden. Nur wenn die CDU für Weihrauch und
Wirtschaftskompetenz, für Folklore und Visionen gleichermaßen steht,
kann sie an Rhein und Ruhr Volkspartei bleiben. Die Kurssuche ist mit
der Kampfabstimmung alles andere als entschieden.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de