WAZ: Das Geld muss fließen – Leitartikel von Stefan Schulte

Das Leben ist kompliziert genug. Ob eine
Ratingagentur britische und portugiesische Banken herabstuft, muss
den einfachen Bürger nicht interessieren. Oder doch? Vielleicht hilft
ein Bild aus dem Jahr 2007, die Sinne zu schärfen: Hunderte Briten
standen Schlange vor den Northern-Rock-Filialen. Sie wollten ihr Geld
abheben, bevor die Bank pleite ging. Sie hatten das Vertrauen
verloren, ihr Geld sei dort sicher. Damit das nicht auch in
Deutschland passiert, stellten sich Merkel und Steinbrück hin und
garantierten, das Geld der Sparer sei sicher. Dann pumpten sie
Milliarden in Banken wie die HRE und Commerzbank. All dies droht sich
nun zu wiederholen, nur in noch größeren Dimensionen. Dutzende Banken
in Europa brauchen frisches Geld. Auf Kosten auch der deutschen
Bürger. Interesse geweckt? Warum wir Griechenland retten sollen, ist
schon schwer genug zu vermitteln. Dass wir nun auch noch
portugiesischen oder italienischen Banken unser Geld in den Rachen
werfen sollen, erst recht. Zumal wenige Politiker Lust verspüren,
Verständnis für die verhasste Finanzbranche zu wecken. Doch
irgendwann müssen sie den Bürgern erklären, was im Ernstfall
passieren würde. Wenn die Geldströme versiegen, erhalten Unternehmen
keine Kredite mehr, sie entlassen Menschen und am Ende bricht die
Realwirtschaft ein, auch in Deutschland. Dieser Teufelskreis darf
sich nicht schließen, um keinen Preis. Verstehen lässt sich das nur,
wenn man weiß, dass die so kalt wirkenden Finanzmärkte keineswegs nur
auf Zahlen und Fakten basieren. Ihr eigentlicher Motor ist der
denkbar weichste Wirtschaftsfaktor: Vertrauen. Andernfalls hätte die
Schuldenkrise des kleinen Griechenland niemals einen solchen
Flächenbrand auslösen können. Sie hat nach und nach Vertrauen
zerstört. Zuerst das der eigenen Gläubiger. Die Pleitediskussion hat
dann auch das Vertrauen in andere südeuropäische Staaten zerstört und
schließlich das Vertrauen der Banken untereinander. Weil keine Bank
genau weiß, wie stark die andere von der Krise betroffen ist, leihen
sie sich gegenseitig kein Geld mehr. Geld, das fehlt, um die normale
Wirtschaft mit Krediten zu versorgen, in der noch Stahl gekocht und
Maschinen gebaut werden. Fazit: Die Politik hat gar keine Wahl: Sie
muss klammen Banken helfen. Das ist bitter und ungerecht und wird ihr
keinen Beifall einbringen. Schon eher, wenn sie im Gegenzug die
Branche insgesamt stärker an der Rettung Griechenlands beteiligen
würde. Mit einem echten Schuldenschnitt.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de

Weitere Informationen unter:
http://