Und jetzt soll auch noch ein ungeklärter
Sprengstoffanschlag in der Kölner Innenstadt aus dem Jahr 2001 die
blutige Handschrift der „Zelle Zwickau“ tragen? Die Liste all dieser
Kopfschüsse, Splitterbomben und Sprengfallen, die Nordrhein-Westfalen
in den vergangenen 15 Jahren nach kurzer Erschütterung wie bittere,
aber gottlob seltene Naturkatastrophen verdrängte, wird mit jedem Tag
unheimlicher. Das Entsetzen ist deshalb so groß, weil erstmals ein
brutales Gesetz der Serie erkennbar wird. Exekutionen in der
unmittelbaren Nachbarschaft lassen sich nicht mehr länger auf das
Konto „verirrter Einzeltäter“ buchen, nicht mehr mit
„Milieu-Streitigkeiten“ oder „familiären Konflikten in
Migrantenkreisen“ erklären. Nein, plötzlich verdichtet sich alles zu
einem rechtsextremistischen Terrorsystem, das ohne ideologische
Bekenntnisse auch an Rhein und Ruhr wüten konnte. Vor allem lässt
eine lange verdrängte Gefahr schaudern. Wenn der
nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger anregt, die
staatlichen Instrumente des Abwehrkampfes gegen den Islamismus ganz
rasch gegen Rechts in Stellung zu bringen, spricht das Bände. Unsere
Freiheit musste eben am Hindukusch verteidigt werden, aber doch nicht
in Dortmund-Dorstfeld. Die Furcht vor einem braunen Terror haben
Politiker, Bürger und Medienschaffende seit Jahren praktisch
ausgeblendet. Sie schien vornehmlich debattierfreudige Antifa-Gruppen
zu beunruhigen oder hier und da bei unschönen innerstädtischen
Neonazi-Aufmärschen samstagvormittags unser staatsbürgerliches
Gewissen herauszufordern. Aber als politischer Faktor galten
Dumpfbacken in Springerstiefeln schon lange nicht mehr. Da blätterte
man sogar besorgter im Verfassungsschutzbericht unter L wie
Linksextremismus. Das rächt sich nun. Die Videos der „Zelle Zwickau“
leuchten unweigerlich auch die Randzonen unserer Wahrnehmung aus.
Hochburgen des braunen Mobs im Ruhrgebiet etwa, die für Migranten
schon lange „No-Go-Areas“ sind. Verständnisvolle Gleichgültigkeit
jener selbsternannten „kleinen“ Leute, die aus ihrer gefährlichen
Politik- und Staats-Verachtung keinen Hehl machen. Nicht zuletzt jene
Verfassungsschützer und Kriminalisten, die auf dem rechten Auge eine
eklatante Sehschwäche offenbaren. Fazit: Die jahrelange Blutspur der
braunen „Zelle Zwickau“ ist nicht nur ein Skandal der Ermittlungs-
und Verfassungsschutzbehörden. Die Morde ohne ideologische
Bekenntnisse rufen auch ins Bewusstsein, dass wir rechten Terror
weniger ernst nehmen als islamistischen oder linksextremistischen.
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