WAZ: Eine verpasste Chance. Kommentar von Ulrich Reitz

Eine Partei kann einen angeschossenen Parteichef nur
stützen oder stürzen. Da Guido Westerwelles Rivalen nicht einmal
wissen, ob es gut für sie wäre, ihn zu stürzen, hat die Partei sich
entschlossen, ihn zu stützen. Das hält aber nur bis zu den Wahlen in
Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg. Mit diesem Ergebnis konnte
man rechnen. Überraschend ist, dass Westerwelle gestern nicht mehr
für sich herausholte.

Ein Signal über den Tag hinaus wäre möglich gewesen. Und wie? Das
Steuersenkungsversprechen vor der Wahl war ebenso ein Fehler wie der
Hotelsteuer-Erlass danach. Hätte Westerwelle diese Irrtümer
zugegeben, er wäre sympathisch und souverän über die Rampe gekommen.
Mit seiner Augen-zu-und-Durch-Rede hat er den Eindruck des
Abgehobenseins bestätigt. Interessant: Gegen Westerwelles
Selbstgewissheit setzte Generalsekretär Lindner punktgenau die
Empfehlung, dem Bürger mehr zuzuhören.

Das eigentliche Problem der FDP weist weit über Personalfragen
hinaus. Was ist nach der Erfahrung des gescheiterten entfesselten
Finanz-Kapitalismus noch liberal? Was bedeutet ein liberaler Umgang
mit dem Islam? Dazu hörte man gestern: Nichts.

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