WAZ: Europas schlechtes Gewissen – Kommentar von Knut Pries zu den Flüchtlingsdramen

Das schlechte Gewissen setzt sich in Bewegung –
endlich. Fast anderthalb Jahre sind vergangen seit dem
Schiffsunglück, das als „Katastrophe von Lampedusa“ ein besonders
düsteres Kapitel der Geschichte der EU bildet. Es bedurfte zweier
Desaster ähnlicher Dimension im Abstand von nicht mal einer Woche, um
den Verantwortlichen in der EU und den Hauptstädten mehr abzuringen
als kosmetische Maßnahmen und Achselzucken.

Die jetzt entfaltete Aktivität belegt, worum es sich bislang
gehandelt hat: um fortgesetzte unterlassene Hilfeleistung. Was zur
Linderung des Problems notwendig ist, liegt auf der Hand:
Seenotrettung, Bekämpfung des Schleuserwesens, Zusammenarbeit mit den
Herkunftsländern, menschenwürdige Aufnahmeverfahren, faire Verteilung
der Flüchtlinge, Hilfe bei der Beseitigung der Fluchtursachen.

Nun also rafft sich die EU auf, wenigstens ein bisschen von dem zu
tun, was sie als leistungsfähigste Wirtschaftszone der Welt tun kann.
Genauer: Sie kündigt es an. Das ist mehr als nichts und damit mehr
als bisher. Ob es die Wende zu einer humaneren Flüchtlingspolitik
bedeutet, ist noch nicht absehbar.

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