WAZ: Gnadenlose Finanzmärkte. Kommentar von Stefan Schulte

Europas Schuldenstaaten habe viele Jahre lang
unermüdlich daran gearbeitet, sich möglichst tief in den Morast zu
graben. Italien ist für dieses Staatsversagen ein noch weit besseres
Beispiel als Griechenland. Eine intakte Industrie, eine für Südeuropa
gute Kaufkraft und konstant unter EU-Schnitt liegende
Arbeitslosenzahlen ließen Rom anders als Athen alle Möglichkeiten,
den Staatshaushalt in geordneten Bahnen zu halten. Doch diverse
Berlusconi-Regierungen setzten andere Akzente und hinterlassen eine
Erblast, die kein noch so vernünftiger Nachfolger über Nacht abtragen
kann. Insofern handeln die Finanzmärkte zwar einmal mehr gnadenlos,
aber rational, wenn sie weiter hohe Zinsen für ihre mittelfristigen
Kredite an Italien verlangen. Denn es wird länger als eine
Regierungszeit dauern, den Haushalt ins Reine zu bringen. Bei
langfristigen Krediten über zehn Jahre sind die Zinsen übrigens
bereits leicht gesunken. Man traut dem neuen Regierungschef Monti die
Politikwende offenbar durchaus zu. Bis die sich auszahlt, dauert es
aber viele Jahre. Und genau so lange wird auch Europa als Ganzes
nicht zur Ruhe kommen.

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